SWR2 Wort zum Tag

SWR2 Wort zum Tag

Kinder denken manchmal unbefangener und tiefer als Erwachsene. Es kommt vor, dass sie einen sehr tiefsinnigen Gedanken einfach so äußern, schlicht, zum Niederknien schön formuliert. „Wer nicht traurig sein kann, der kann sich auch nicht freuen" sagt mir ein Mädchen aus dem 3. Schuljahr. Einfach so. Ich schätze mal, die Kleine hat zuvor keine theologischen und philosophischen Lehrbücher gelesen, sie hat einfach: nachgedacht.
Wir hatten uns über die Trauer der Jünger nach dem Tod Jesu und ihre Freude über seine Auferstehung unterhalten, und dass sie auch nach Ostern immer mal wieder traurig waren, trotz aller Freude, und dann wieder jubelnd, auch wenn es ihnen hart erging. „Wer nicht traurig sein kann, der kann sich auch nicht freuen" Sie hat das übrigens sehr sicher gesagt, aus tiefer Überzeugung: So ist es. Und so ist es ja auch.
Das kann nach einer Binsenweisheit klingen: Nach dem Motto: Jedem Regen folgt der Sonnenschein, und ist doch eine große Weisheit des christlichen Glaubens. Weil es überhaupt nicht selbstverständlich ist, dass Gott den Jammer der Welt teilt, selbst traurig ist. Näherliegender ist es ja, mit dem leidenden Jesus nichts anfangen zu können. Klar, das ist ja auch unappetitlich, so viel Blut, und auch ziemlich traurig, am Kreuz, alle weinen und haben Angst. „Er ist halt nur scheinbar gestorben" meint ein anderes Kind aus der Klasse. Manchmal können Kinder sich auch irren. Allerdings: Das gilt ebenso für viele Erwachsene. Auch viele der Menschen vor 2000 Jahren dachten so und denken das noch heute. Aber:
Jesus Christus war - auch - ein leidender Mensch. Auch für Gott galt und gilt: Wer nicht traurig sein kann, der kann sich auch nicht freuen. Das adelt menschliche Traurigkeit und öffnet sie zum Himmel. Und lässt menschlichen Jubel ebenfalls göttlich sein, erfüllt mit göttlicher Freude. Zum Menschsein gehört das Leiden dazu. Und die Freude. Zu Gott auch. Deshalb bin ich auch äußerst skeptisch gegenüber Ratgebern, die einem zu einem stets erfolgreichen und glücklichen Leben verhelfen wollen. Wegweiser zum Glück zeigen auch auf leidvolle Straßen.
Wenn es gut geht, buchstabieren wir das mit offenen Sinnen und offenem Herzen nach und merken auf, wenn uns ein Kind oder ein Erwachsener sagen kann, ganz einleuchtend und klar und einfach, wie die Welt und Gott funktionieren. „Wer nicht traurig sein kann, der kann sich auch nicht freuen". Das gilt für Menschen - es gilt auch für Gott.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=15190
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