SWR2 Wort zum Tag
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In jeder Zeit gibt es Menschen, die aufs Ganze gehen. Und wer wollte das nicht: Authentisch sein, klar und stimmig?
Meister Eckhart, dieser große Lese- und Lebemeister aus der Zeit um 1300, ist auch deshalb so aktuell und viel gefragt. Er ging aufs Ganze, er suchte Gottes Gerechtigkeit.
Das Sehnsuchtswort seiner Zeit hieß: Armut. Nicht Elend oder Verarmung, ganz im Gegenteil: Wir würden heute von Solidarität sprechen, von wirklicher Gerechtigkeit. Nicht zufällig trat der kleine Eckhart aus Tambach in Thüringen gerade bei den Dominikanern in Erfurt ein. Er schloss sich damit der spirituellen Avantgarde seiner Zeit an, den so genannten Bettelmönchen. Sie wollten das Evangelium authentisch leben, sonst nichts. Aber das in ihrer Zeit, konkret und entschieden. Damals fing das an mit dem Gefälle zwischen Stadt und Land, mit der Schere zwischen Arm und Reich, mit der Kluft zwischen Bildungsprivilegierten und Bildungsopfern. Wer Dominikaner wurde, stellte Jesu Botschaft in die Mitte seines Lebens: „Selig sind die Armen". Das ist kein Vertröstungsprogramm, das ist eine Lebenswahl, ein Protest gegen ungerechte Verhältnisse. Aber wie gelingt das , arm zu sein, also leben mit einer inneren Freiheit, die dann nach außen wirkt?
„Was wir im Gebet empfangen, das gilt es anderen weiterzugeben" - so lautet das Programm der dominikanischen Bewegung, damals wie heute.
Und Meister Eckhart ist ein betender, ein kontemplativer Mensch. Er meditiert die Worte der Bibel, er entziffert sie als Gottes Wort. Gehorsam nennt er das, ganz wörtlich verstanden: Horchen und gehorchen, hören und dazugehören, ganz bei Gott sein, ja: Gottes Gegenwart erspüren im Hier und Jetzt. Nichts von Kadavergehorsam also, nichts von Duckmäusertum oder Fremdbestimmung! Ganz im Gegenteil. Betend hört der Mensch auf seine Lebensstimme, und das macht ihn frei und präsent. Das nennt Meister Eckhart „ein lediges Gemüt", arm im Sinne des Evangeliums. Wer so lebt, hat nicht nur mehr sich im Kopf, der Orientierungspunkt seines Denkens und Verhaltens liegt dann woanders. Der Maßstab ist nicht länger das eigene Ego, der Nächste kommt in den Blick, die Anderen. Gerechtigkeit wird möglich. „Das ist ein lediges Gemüt, das durch nichts beirrt und an nichts gebunden ist, das in nichts auf das Seine sieht, vielmehr völlig in den liebsten Willen Gottes versunken ist und sich des Seinigen entäußert hat." Mit solch innerer Freiheit beginnt die Veränderung der Verhältnisse. So entsteht nach Meister Eckart gelingendes Leben und wirkliche Solidarität.