SWR4 Abendgedanken

SWR4 Abendgedanken

Ich gestehe: Ich war heute auf keiner Maikundgebung. Das ist irgendwie noch nie mein ganz großes Thema gewesen, wahrscheinlich auch deshalb, weil ein Pfarrer ja nicht um seine Arbeitszeit kämpft im Normalfall. Einen Arbeitsvertrag habe ich im übrigen auch nicht und deshalb keine rechtliche Handhabe, für andere Bedingungen zu kämpfen. Obwohl es schon Gründe dafür gäbe. Als Gemeindepfarrer immer im Dienst zu sein, ist ganz schön anstrengend. Wenn ich das Pfarrhaus verlasse, tue ich das nicht nur als Privatperson. Schnell kommt einer um die Ecke und hat ein Anliegen - und sei es nur die Gemeindehaustüre, die gerade unpraktischerweise abgeschlossen ist. 40-Stunden-Woche habe ich auch keine, und um einen Feiertags- oder Nachtzuschlag ist es schlecht bestellt. Das sage ich natürlich mit einem Augenzwinkern, weil ich nicht wirklich auf die Idee käme, das zu fordern. Andererseits bekomme ich sehr real zu spüren, dass wir Priester immer weniger werden, und dass das nicht ohne Konsequenzen für mich bleibt. Die engen Zugangsbedingungen zum Priestertum werden auf dem Rücken der Gemeinden ausgetragen, aber auch auf dem Rücken derer, die gerade als Priester leben und arbeiten. Und meiner ist einer davon.
Das sind Gedanken, die mir heute am 1. Mai in den Sinn kommen. Sie haben zu tun mit der Balance von Arbeit und Freizeit, die für ein gesundes Leben unverzichtbar ist. Keine Arbeit zu haben, ist schrecklich. Nicht nur, weil man damit sein Geld verdient, sondern weil es einen Sinn für die eigene Existenz gibt. Etwas zu schaffen, nützlich zu sein für die Allgemeinheit, das brauchen wir wie die Luft zum Atmen und das tägliche Brot. Andererseits ist es auch schrecklich, ständig arbeiten zu müssen und darunter zu stöhnen, wie denn bloß das ganze Geschäft bewältigt sein will. Das macht krank. So ist der Mensch nicht gemacht, und so auch nicht von Gott geplant. 
Deshalb gilt auch hier das Prinzip aus der Apostelgeschichte, dass die Abendgedanken in dieser Woche durchzieht: Sie hatten alles gemeinsam ... und jedem wurde soviel zugeteilt, wie er nötig hatte. Arbeit und Nichts-Tun müssen in einem angemessenen Verhältnis zueinander stehen. Wir brauchen beides. Darüber nachzudenken und die Balance in Ordnung zu bringen, auch dafür ist der Maifeiertag unverzichtbar.

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