SWR4 Abendgedanken

SWR4 Abendgedanken

„Gesundheit ist doch das Wichtigste!" Dieser Satz begegnet mir immer wieder. Auch neulich beim Besuch bei einem 70 Jährigen. Die Stube war voller Gratulanten. Reihum überbrachten sie dem Jubilar ihre guten Wünsche. Er bedankte sich und sprach diesen Satz: „Gesundheit ist doch das Wichtigste!"
Ich verstehe das. Den Wert der Gesundheit kann man nicht hoch genug einschätzen. Heutzutage, wo alles darauf ankommt, fit zu sein und mithalten zu können. Da mag es sich natürlich niemand vorstellen, krank und unbrauchbar zu werden. Mithalten beim Konkurrenzkampf der Leistungsfähigen und bloß keinem zur Last fallen: Das geht ja nur, wenn einer gesund ist.
Aber wenn man alles, was wir einander wünschen, zusammenfasst in diesem Satz: „Gesundheit ist das Wichtigste" - da fehlt mir irgendwo etwas.
Denn was ist mit Kranken, für die solch ein Wunsch wie ein Schlag ins Gesicht sein muss? Bei meinem Besuch saß unter den Geburtstagsgratulanten einer, der seit Jahren krank war. Wie klang dieser Satz „Gesundheit ist das Wichtigste!" in seinen Ohren? War das Wichtigste damit aus seinem Leben verschwunden? Waren er und sein Leben also weniger wert?
Ich kannte diesen Kranken schon länger und wusste: Er hadert nicht mit seinem Schicksal. Irgendwie hat er daraus gelernt. „Man weiß mehr über sich", hatte er mir einmal erzählt, „und lernt über den Menschen dazu. Über mich habe ich gelernt, wie mich Kleinigkeiten freuen können: der Anruf des Freundes oder der Blick aus dem Fenster auf meinen kleinen Garten."
Jemand anders hat einmal gesagt: Krankheiten sind Schlüssel, die uns gewisse Tore öffnen können, Tore zu bestimmten Wahrheiten. Zum Beispiel wie kostbar der Augenblick ist. Und wie wertvoll Freundschaften sind. Und auch wie der Glaube an Gott Kraft geben kann zu tragen, was man nicht ändern kann.
Genau das scheint mir das Wichtigste zu sein: dass der Mensch weiß: Mein Leben, wie immer es im Augenblick aussieht, ist in Gottes Händen gut aufgehoben.

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