SWR2 Wort zum Tag

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In dem Buch „Deutschland aus der Vogelperspektive“ haben die Brüder Bernhard und Hans-Jochen Vogel „eine kleine Geschichte der Bundesrepublik“ zusammengestellt. Sie reicht von den Erfahrungen des Kriegsendes bis hin zur Fußball-WM 2006. Beide Autoren blicken auf ein langes politisches Leben zurück, in dem sie in höchsten Partei- und Regie-rungsämtern Verantwortung getragen haben – der eine bei der CDU, der andere bei der SPD. Kein Wunder, dass sie viele Ereignisse der deutschen Geschichte unterschiedlich bewerten. Dass sie dennoch zu einer gemeinsamen Gesamtschau kommen, ist ein ermu-tigendes Zeichen. Denn es besagt, dass Menschen auch über politische Grenzen hinweg übereinstimmen können – nicht nur weil sie Brüder sind, sondern weil sie sich redlich in der Verantwortung für das Gemeinwesen verbunden wissen.
Die beiden Brüder Vogel lassen sich in dem Buch von der Einsicht leiten: „Nur wer weiß, woher er kommt, weiß auch, wo er sich befindet und wohin sein Weg führen wird.“ ... „Geschichtslosigkeit führt in die Barbarei.“ (11) Die meisten Beiträge sind jeweils von einem der beiden Brüder geschrieben. Bezeichnend ist, welche Beiträge sie gemeinsam schreiben. Der erste bezieht sich auf die Entstehung des Grundgesetzes der Bundesrepu-blik Deutschland im Jahr 1949 – eine politische Antwort auf den nationalsozialistischen Terror; die erste dauerhafte Verfassung, so schreiben die Vogel-Brüder, „die im Bewusst-sein unseres Volkes Wurzeln geschlagen hat“ (43). Besonders heben die Autoren den Artikel 1 hervor: „Die Würde des Menschen ist unantastbar.“ Und sie weisen darauf hin, dass in der Präambel ausdrücklich die „Verantwortung vor Gott“ betont wird. Dies drücke „unbeschadet aller religiösen oder weltanschaulichen Überzeugungen aus, dass der Mensch eben nicht allmächtig und allwissend ist, sondern sein Tun und Lassen vor einer höheren Instanz verantworten muss“ (43f).
Gemeinsam ist auch die Schlussbetrachtung. Dort steht: „Wenn uns jemand dies alles“ – nämlich einen auf Freiheit und sozialer Gerechtigkeit beruhenden Rechtsstaat sowie den europäischen Einigungsprozess – „wenn uns jemand dies alles am 8. Mai 1945 vorher-gesagt hätte, wir hätten ihn für geisteskrank gehalten.“ (297) Trotz aller Fehlentwicklun-gen und Fehlentscheidungen, die sie nicht verschweigen, schließen Bernhard und Hans-Jochen Vogel mit einem Appell gegen die Resignation. „Habt Mut, Hoffnung und Zuver-sicht“, schreiben sie. „Seid ins Gelingen verliebt, nicht ins Scheitern. Denkt nicht nur an Euch, sondern engagiert Euch für Eure Mitmenschen und für das Gemeinwesen. ... Ver-sucht es besser zu machen als die, die Ihr kritisiert.“ (302)
https://www.kirche-im-swr.de/?m=1506
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