SWR2 Wort zum Tag

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Das kleine Kästchen war mir einfach aus der Hand gefallen. Nichts schien zu Bruch gegangen. Das Gehäuse war schließlich aus Metall. Aber die Folgen waren viel gravierender als nur einige Scherben. Das merkte ich kurze Zeit später. Die Daten waren weg.
Was da auf den Boden gefallen war, das war nämlich eine kleine Festplatte. Also das kleine Gedächtnis meines Computers, das in jede Jackentasche passt. Auf dieser kleinen Festplatte waren jede Menge Daten gespeichert. Wertvolle Daten. Informationen, die mir wichtig sind. Texte. Bilder. Briefe. Alles weg. Wie nach einem verheerenden Feuer. Nur ohne Asche und verkohltes Gebälk.
Nach dem ersten Schrecken gab es eine Teilentwarnung. Einiges war noch an anderer Stelle gesichert. Aber die Daten einiger Monate - sie waren endgültig weg. Mein Leben geht seitdem trotzdem weiter. Dennoch habe ich gedacht: Was sind das für neue Empfindlichkeiten, für neue Verlustängste, denen wir da ausgesetzt sind. Die Technik, sie macht das Leben nicht nur angenehmer. Sie setzt uns auch neuen Verletzlichkeiten aus. Photoalben und Briefe, sie sagen etwas darüber aus, was mir wichtig ist. An wen ich die Erinnerung aufheben will. Und wenn sie verloren gehen, geht ein Stück meiner Identität verloren. Früher im Feuer. Oder einer Flut. Und heute viel weniger spektakulär dieselbe Erfahrung: Da kann etwas Wertvolles, etwas ganz Persönliches verloren gehen, nur weil eine Festplatte die Daten nicht mehr hergibt.
Wer ich wirklich bin, was mich ausmacht, als Person, als Mensch, das steht auf keiner Festplatte. „Freut euch, dass eure Namen im Himmel geschrieben sind!" Jesus sagt diesen Satz einmal zu seinen Jüngern. Dass ich als Mensch etwas Besonderes bin, das hängt also nicht mit der Menge der gespeicherten Daten zusammen. Ich muss es auch nicht begründen. Dass ich, so wie ich bin, einzigartig bin -  das ist eine Aussage, die nicht zur Disposition steht. Ja, es ist so etwas wie ein Glaubensakt. Das, was über mich gespeichert ist - auf einer Festplatte oder in den Köpfen anderer Menschen - das ist nicht das Urteil über mich und mein Leben. Schon gar nicht das Letzte, was es über mich zu sagen gibt. Das steht schon fest. Weil es im Himmel festgehalten ist. Unauslöschlich. Dieses Wissen trägt mich. Es lässt mich aufrecht durch's Leben gehen. Sogar dann, wenn ich einmal eine Festplatte vom Boden aufheben muss.

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