SWR2 Wort zum Tag

SWR2 Wort zum Tag

Die Musik hatte mich richtig zur Ruhe kommen lassen. Wunderbare Musik war das gewesen. In der Krypta einer romanischen Kirche zum Erklingen gebracht. Am Ende ein beeindruckender Schlussakkord. Der war noch nicht zu Ende, da setzt schon das erste Klatschen ein. Schnell wird daraus kräftiger Beifall. Eigentlich gönne ich ihn Musizierenden ja von Herzen. Trotzdem hat zunächst der Ärger überwogen. Der Ärger darüber, dass das Ende allzu abrupt war. Und mir die Stille am Ende gestohlen wurde.
Die wenigen Sekunden des Nachklangs. Diese wohltuende Stille, nachdem der letzte Nachhall vorüber ist. Sie tut mir unendlich gut. Aber ich erlebe sie fast nicht mehr. Nicht einmal nach den großen Passionen Johann Sebastian Bachs. Am Ende des Schlusschores. Nicht einmal mehr dann, wenn im Programm ein Hinweis steht, den Beifall ganz zu unterlassen.
Ich glaube, es ist nicht einfach die arglose Zerstörung meines individuellen Bedürfnisses nach Stille, die mich hier ärgert. Ich glaube, es ist die Unfähigkeit, Stille auszuhalten. Stille auszukosten. Und Kraft aus ihr zu schöpfen.
Stille ernährt. Lärm verbraucht. In einem alten Kalender habe ich diese beiden Sätze gelesen. Eine alte Weisheit ist das. Kein modernes Überlebensprogramm. In einer ganzen Reihe biblischer Erzählungen ist einsetzende Stille ein Hinweis. Ein Hinweis, der sagen will: Jetzt  ist ein ganz besonderer Moment. Hüte und bewahre ihn wie einen kostbaren Schatz. Im Grunde ist die Stille sogar ein Hinweis auf eine Gottesbegegnung. Aber der Hinweis erfolgt so dezent, dass man ihn fast nicht wahrnimmt. Bei der Geschichte vom großen Sturm ist das zum Beispiel so. Die Freunde Jesu werden auf einem Schiff von einem stürmischen Unwetter überrascht. Sie fürchten um ihr Leben. Jesus liegt hinten im Schiff und schläft. Die Jünger wecken ihn in ihrer Angst. Und Jesus bringt den Sturm zum Erliegen. Dann, so heißt es weiter, geschah eine große Stille. Eine große Stille - das meint noch einmal etwas anderes nur, als dass der Wind sich legt. Diese Stille deutet diesen Moment als etwas ganz Besonderes. Als einen Moment der Öffnung hin zu Gott.
Nach einem Konzert, wenn die Töne verklungen sind, empfinde ich manchmal eine Ahnung, was das heißen könnte: eine große Stille. Ich bin sicher: Sie tut nicht nur mir gut. Und sie vermittelt nicht nur mir eine Ahnung der von dem, was sich hinter den Tönen noch verbergen könnte. Manchmal sogar eine Gottesbegegnung.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=14974
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