SWR3 Gedanken

SWR3 Gedanken

Jesus sagt: Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst. Aber klar doch. Was ist schon dabei? Kann doch nicht so schwer sein. So ein bisschen Liebe, so ein bisschen Achtung, das kriege ich bequem hin. Oder nicht? Es klingelt an der Tür.
Schon wieder dieser Penner. Diesmal betrunken. Hämmert an die Tür. Nimmt den Finger nicht von der Klingel. Flucht, als ihm niemand öffnet. Versucht es noch einmal. Wütend und ungeduldig. Gibt dann auf, mit einem neuen Fluch. Dreht sich um und will gehen.
Was man so gehen nennt bei einem, der granatenvoll ist. Bemerkt die Stufe hinter sich nicht. Tritt ins Leere und stürzt lang hin. Zum Glück erst auf den Bauch, der mildert den Aufprall. Danach dann der Kopf. Nur eine Beule. Er bleibt liegen, als wolle er schlafen. Dann schimpft er laut und heult dabei. Rappelt sich auf. Wankt davon. Hat wohl alles schon vergessen. Außer seinen Schmerz.
Den soll ich lieben? Der soll mein Nächster sein? Und dann die vielen anderen. Auf der Straße, im Bus, in den Geschäften. Lieben? Sie sind immer zu laut. Schreien ihre Kinder an. Bereuen nie etwas. Geben Gott und der Welt die Schuld. Oder putzen sich raus. Geben sich fein. Wissen alles besser. Haben immer recht. Und alle, alle meinen sie, die ganze Welt sei nur für sie da. Die soll ich lieben?
Ja, soll ich. Wenigstens achten soll ich sie. Wenigstens mir Mühe geben.
Weil auch ich nicht perfekt bin und nicht immer alles richtig mache. Weil Gott nicht nur mich geschaffen hat, sondern eben auch diesen Penner. Und weil ich vielleicht einfach nur mehr Glück gehabt habe als er. Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst. Ist wirklich manchmal viel verlangt. Du sollst deinen Nächsten achten, so wie du geachtet werden willst. Das sollte zu schaffen sein.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=14943
weiterlesen...