Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

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Der Mann könnte ein gewöhnlicher Straßenmusiker sein. Er steht an einer Haltestelle und spielt Violine. Hunderte von Menschen kommen an ihm vorbei. Sie sind auf dem Weg zur Arbeit, zur Schule, zum Arzt. Nur wenige beachten den Geiger. Hier und da wirft jemand eine Geldmünze in seinen Hut.
Nach einer dreiviertel Stunde packt der Geiger seine Sachen zusammen. 32 Dollar hat er eingenommen.

Der da mitten im Trubel Violine spielt, ist  Joshua Bells, einer der besten Geiger der Welt. Seine Geige ist über drei Millionen Dollar wert und er spielt mitten auf der Straße eines der schwierigsten Musikstücke, die jemals geschrieben wurden. Zwei Tage zuvor hatte er das gleiche Werk in einem Konzertsaal gespielt. Eine Eintrittskarte kostete durchschnittlich 100 Dollar. 

Der Auftritt als Straßenmusiker war ein Experiment. Eine amerikanische Zeitung wollte wissen: Lassen sich Menschen in ihrem gewöhnlichen Tagesablauf von besonders Schönem berühren? 

Und ich frage mich: Wäre ich stehen geblieben? Hätte ich die Qualität der Musik erkannt? Das Schöne gehört? Vermutlich nicht! Denn auch ich habe es morgens eilig und den Kopf voller Dinge, die anstehen.

Da passiert es leicht, dass ich übersehe oder überhöre, was mir so ganz nebenbei an Schönem begegnet:
Die ersten Frühlingsblumen im Gartenbeet. Die Tür, die mir aufgehalten wird. Das freundliche Hallo der Nachbarin. Oder der fröhlich pfeifende Junge auf dem Weg in den Kindergarten.
Das ist alles nicht selbstverständlich. Das ist einfach schön und es braucht oft nur einen Moment, um es wahrzunehmen.
Wenn ich es wahrnehme, gehe ich meistens sogar mit einem Lächeln auf den Lippen weiter.
Es gibt so viel unbeachtet und unerhört Schönes! Ganz unscheinbar, manchmal sogar auf dem Weg zur Arbeit.

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