SWR4 Abendgedanken

SWR4 Abendgedanken

„Wir müssen sehen, dass wir die Leute wieder in die Kirche kriegen", sagte ein besorgtes Mitglied des Pfarrgemeinderates in der letzten Sitzung. Ich kann ihn gut verstehen, denn immer weniger Menschen gehen sonntags zur Kirche. Und die, die es noch tun, kommen sich oft wie das Häuflein der letzten Aufrechten vor. Und doch gefällt mir was nicht an diesem Satz und zwar das Wort „kriegen". Es erinnert mich an das Wort Krieg. Wenn man jemanden kriegen will, dann will man ihn vereinnahmen, erobern, einsacken. Und das sollten wir nicht tun, weder wenn wir als Kirche mit unsern Mitgliedern umgehen noch im ganz normalen zwischenmenschlichen Umgang. Die Frage sollte nicht heißen: Wie können wir die Leute kriegen? Sondern: Was können wir ihnen geben?

Als Jesus Brot unter den Leuten verteilte, tat er dies nicht, um die Leute zu kriegen. Damit sie jeden Sonntag wieder kommen und er einen Verein gründen konnte. Sondern er tat es, weil die Leute Hunger hatten. Auch heute haben die Menschen Hunger. Den wortwörtlichen Hunger nach Brot, aber auch den Hunger nach Sinn, nach Gerechtigkeit, nach Arbeit, nach Liebe und Anerkennung. Wenn wir uns als Kirche in unseren Räten fragen, was wir den Leuten diesbezüglich geben können, dann haben wir genug getan. Und die Frage, ob die Leute dann sonntags auch zur Kirche kommen, können wir getrost ihnen überlassen.

Und ich denke, was für die Kirche gilt, gilt auch für mich als Einzelperson. Ich sollte mich nicht fragen, wie ich den andern für mich vereinnahmen kann, wie ich ihn dazu kriegen kann, dass er das tut, was ich will. Sondern ich sollte mich einfach fragen, was ich für den andern tun kann. Und damit genug. Alles andere kann ich dann getrost ihm überlassen.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=14786
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