SWR2 Wort zum Tag

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Im ersten Satz seiner ersten Enzyklika hat Papst Benedikt XVI. im Jahr 2005 formuliert, was für ihn die Mitte des christlichen Glaubens, die Mitte seines Gottesbildes und seines  Menschenbildes ausmacht. Es ist ein Bibelwort, und es lautet: „Deus Caritas est - Gott ist die Liebe, und wer in der Liebe bleibt, bleibt in Gott, und Gott bleibt in ihm." 

Dies gehört für mich zu den bleibenden positiven Erfahrungen dieses jetzt zu Ende gehenden Pontifikats. „In einzigartiger Klarheit", wie der Papst selbst sagt, ohne alle befremdenden Nebensächlichkeiten, kommt hier zum Ausdruck, was den christlichen Glauben so einfach und so ungemein befreiend macht und was doch so groß und weit ist, dass wir in unserem Denken und Handeln nie damit an ein Ende kommen: „Gott ist die Liebe, und wer in der Liebe bleibt, bleibt in Gott, und Gott bleibt in ihm." 

Papst Benedikt hat sich in dieser Enzyklika auch eindeutig zur konkret praktizierten und organisierten kirchlichen Caritas bekannt. Sie sei „nicht eine Art Wohlfahrtstätigkeit, die man auch anderen überlassen  könnte", sondern sie bringe unverzichtbar das Wesen der Kirche zum Ausdruck. Ich betrachte dies als starke Ermutigung für alle, die ihre Kraft und ihre Fähigkeiten in den Dienst anderer Menschen stellen und dies auch als Ausdruck ihres Glaubens verstehen. Sie tragen durch ihr Tun dazu bei, dass die Kirche glaubwürdig ist. 

Vier Jahre danach, 2009, hat der Papst konkretisiert, was dieser Liebesdienst im Zeitalter der Globalisierung und angesichts der weltweiten Finanz- und Wirtschaftskrise bedeuten muss. „Caritas in veritate - die Liebe in der Wahrheit", so hat er seine Enzyklika damals überschrieben. Er erläutert darin, dass Liebe im Sinne des christlichen Glaubens kein beliebiges Gefühl ist, sondern dass sie der Gerechtigkeit und dem Gemeinwohl dienen muss - und zwar auf nationaler wie auf internationaler Ebene. Diese Enzyklika ist - bei aller akademischen Diktion - ein durchaus politisches Manifest. Es ist bemerkenswert, wie der Papst darin eine ganzheitliche Entwicklung fordert und daher ein ausschließlich technisches Verständnis des Fortschritts kritisiert. Er verurteilt ein Wirtschaften, bei dem Gewinnstreben und Verdrängungswettbewerb alles bestimmen, das Menschenrechte bedroht und neben unsäglichem Reichtum katastrophale Armut schafft. Er fordert eine Neubesinnung im Umgang mit der natürlichen Umwelt - dies sei eine Frage der Gerechtigkeit gegenüber den kommenden Generationen. 

Der Glaube an einen liebenden Gott muss sich der rationalen Auseinandersetzung mit den heutigen Problemen stellen und praktisch und politisch bewähren. Er muss der bestimmende Maßstab bleiben, wenn die Humanität nicht zerstört werden soll. Das ist der Auftrag, den Papst Benedikts XVI. der Kirche zuweist, wenn sie auch in Zukunft glaubwürdig sein will. Dieser Auftrag verdient es, nicht vergessen zu werden.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=14777
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