SWR2 Wort zum Tag

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Papst Benedikt XVI. tritt in dieser Woche zurück. Er überraschte mit seiner Entscheidung die Menschen innerhalb und außerhalb der katholischen Kirche. Repräsentanten aller Kirchen, Politiker, Vertreter anderer Religionen zollten ihm ungeteilten Respekt für diesen Schritt. Viele haben ihn in diesen Tagen als einen bedeutenden Theologen gewürdigt, der seiner Kirche in schwieriger Zeit Orientierung gegeben habe.

Das ist die eine Seite. Andererseits hat sich bei vielen Katholiken hierzulande und auch bei vielen evangelischen Christen die anfängliche Freude über den „deutschen Papst" zunehmend mit Enttäuschung gemischt. Die Kritik an ihm ist oft zu einer fundamentalen Kritik an der Kirche selbst geworden.

Aber auch er - so schien es oft - war enttäuscht und verletzt. Selbst berechtigte Kritik oder Unverständnis aus den eigenen Reihen und aus nicht kirchlichen Kreisen hat er manchmal wohl als feindselig interpretiert. Der Missbrauchsskandal hat ihn zutiefst geschmerzt; Intrigen im engsten Umfeld haben ihn enttäuscht. Die von ihm so empfundene Auflösung des Glaubens, der religiösen Bindung, der moralischen Verantwortung innerhalb und außerhalb der Kirche hat er immer wieder als bedrängende Gefahr verurteilt. Aber ist er mit diesen Klagen den Menschen wirklich gerecht geworden? 

Ich glaube, man darf die von beiden Seiten erlebte Zwiespältigkeit nicht überspielen. Wenn man ehrlich ist, muss man kritisch sein - allerdings auch selbstkritisch. Aus meiner Studienzeit ist mir ein Abschnitt aus einem Buch des damaligen Tübinger Professors Joseph Ratzinger über „Das neue Volk Gottes", die Kirche, in Erinnerung. „Schwarz bin ich, aber schön"[1] - so lautet das Bibelzitat über diesem Kapitel. Gemeint ist damit die Gestalt der Kirche. Die Kirche habe eine rechte und eine linke Seite, schreibt Ratzinger damals. Diese Widersprüchlichkeit sei die „paradoxe Grundspannung" ihrer Existenz. Auch der Papst selbst sei seit dem Apostel Petrus bis heute sowohl Fels als auch Stein des Anstoßes. Die Kirche und die Menschen in der Kirche ließen sich nicht von einander trennen. Es sei unrealistisch, wenn man eine abstrakte Makellosigkeit der Kirche herausdestillieren wolle, auch als Institution trage sie die Last menschlichen Fehlverhaltens. Aber gerade so sei die sündige Kirche Zeichen der nicht zu besiegenden Güte Gottes, der uns mitten in der Unwürdigkeit liebt. Am Schluss dieses Abschnitts schreibt Joseph Ratzinger, man leide doch auch, wenn ein Freund einen enttäusche, und ringe um seine Rückkehr. Und er fügt hinzu: „Muss das nicht auch in unserem Verhältnis zur Kirche gelten?" 

Für mich haben diese Gedanken etwas Versöhnliches. Es geht darin um mich, der ich mit allen menschlichen Schwächen sagen kann: Ich bin Kirche. Ich gehe davon aus, dass Papst Benedikt diese Sätze auch auf sich bezieht. Und ich hoffe, dass er wahrnimmt, dass auch jemand, der enttäuscht ist, seine Kirche liebt.  


 Joseph Ratzinger, Das neue Volk Gottes. Entwürfe zur Ekklesiologie, Düsseldorf 21970, 257-261.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=14776
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