SWR2 Wort zum Tag

SWR2 Wort zum Tag

Orte der Stille, die einem Menschen erlauben, sich zurückzuziehen und in die Tiefe des eigenen Herzens einzutauchen, in der Hoffnung, neue Einsichten zu gewinnen - da fällt einem zuerst ein Kloster ein oder ein einsam gelegener Ort irgendwo, auf jeden Fall ein Ort, der fremd ist, nicht alltäglich; ein Ort, der eine gewisse Strenge an sich hat, weniger Bequemlichkeiten bietet und keine Zerstreuung. Solche Orte lassen sich nicht nur in der Einsamkeit eines Klosters finden, sondern auch die Straße, sogar das Gefängnis kann ein Ort sein, an dem sich eine Wahrheit offenbart, die in der Mitte des christlichen Glaubens steht.

 

Diese Erfahrung habe ich in Lima gemacht bei einem Treffen deutscher Seelsorgerinnen und Seelsorger, die in den Ländern Lateinamerikas tätig sind. An einem Tag haben wir ein Gefängnis besucht, in dem es in den 90er Jahren eine blutige Revolte gab. Es gab viele Todesopfer, führte dann aber auch zu einer umfassenden Reform. Eine neue Leitung und ein Seelsorgeteam begannen ihre Arbeit. Die Häftlinge bekamen Möglichkeiten zur Selbstorganisation, zur Weiterbildung und zur Zusammenarbeit mit dem Seelsorgeteam. Von den Gefangenen waren wir, Besucher von außen, eingeladen, einen Tag miteinander zu verbringen: im gegenseitigen Erzählen, im Hören eines Vortrags und dem Gespräch darüber, beim gemeinsamen Essen.

 

Die Gefangenen ließen uns an dem teilnehmen, was ihnen für ihr Leben und für ihren Glauben wichtig geworden war. Das hatten sie wie ein Manifest in großen Buchstaben an die Wand ihres Versammlungsraumes geschrieben. Die  Sätze: „Ich bin geliebt. Ich bin es wert, Respekt zu bekommen und angenommen zu werden. Meine eigentliche Natur ist gütig - und ist schön. Die Welt braucht mich, damit ich helfe, dass sie heil wird."

 

Die Botschaft des Evangeliums könnte kaum klarer in wenigen Sätzen verkündet werden! Es ist ja die Botschaft, die Jesus von Nazareth bei seiner Taufe im Jordan hörte: Du bist mein Sohn, den ich liebe. Diese Botschaft - darin besteht der Kern der Verkündigung Jesu - gilt für alle Menschen: alle, vor Gott, erwachsene Töchter und Söhne. Uns hat tief berührt, dass der Kern des Evangeliums von denen entdeckt und hochgehalten wird, die in den Evangelien meist kurz die „Sünder" genannt werden. Ihnen scheint dieser Rabbi von Nazareth besonders nahe gewesen zu sein - und sie sind es, die ihn als Erste verstanden und glaubten.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=14767
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