SWR2 Wort zum Tag

SWR2 Wort zum Tag

Wenigstens einmal im Jahr die berühmte Sau rauslassen - das vor allem hat unsere christlichen Vorfahren dazu veranlasst, den Karneval zu erfinden. Bevor die strenge Fastenzeit beginnt, soll einmal noch möglichst heftig und vital herauskommen, was den Osterglauben ausdrückt: „Tod, wo ist dein Sieg, Tod, wo ist dein Stachel?", fragt triumphierend schon Paulus. Das sogenannte normale Leben ist ja bestimmt von festen Ordnungen, und irgendwie ist immer das Wissen um Grenzen und Begrenzungen im Spiel, verborgen darin immer das Wissen um den Tod. Aber das soll nicht immer so bleiben. Deshalb werden zu Karneval die Verhältnisse auf den Kopf gestellt. Deshalb bekommt die Lust Raum, endlich mal aus der Rolle zu fallen oder eine andere Position einzunehmen. Wer das ganze Jahr über lohnabhängig ist und in kleinen Verhältnissen leben muss, der kann heute endlich mal Prinzessin sein oder Chef. Wer sonst blass durch die Gegend läuft und als  graue Maus erscheint,  der leistet sich in diesen Tagen prachtvolle Kleider  wie der berühmte Pfau. Nicht zuletzt: Diejenigen, die das ganze Jahr über die erste Geige spielen und  Schlagzeilen machen, die werden heute auf ihr normales Maß herunter gestutzt. Sie können sogar bloßgestellt und verspottet werden. Ihre Fehler werden zur Schau gestellt, sie sind auch nicht besser als alle anderen, eher gefährdeter und gefährlicher durch ihr Geld und ihre Macht. Ein Stück Revolution ist in jedem Karneval, und in jeder Revolution ist österlich mindestens die Sehnsucht nach Gerechtigkeit für alle, und vielleicht sogar schon ein Vorgeschmack davon. Lukas, der dritte Evangelist, lässt die unscheinbare, unbekannte Maria deshalb ein Jubellied anstimmen: „Denn auf die Niedrigkeit seiner Magd hat er geschaut... Er stürzt die Mächtigen vom Thron und erhöht die Niedrigen. Die Hungernden beschenkt er mit seinen Gaben und lässt die Reichen leer ausgehen." (Lk 1,46-56). Das ist die österliche Gottes-Revolution, das ist der Glutkern des Christlichen. In einer noch ungerechten Welt ist es der lebendige Gott höchstpersönlich, der die Verhältnisse aufmischt und die Bäume nicht in den Himmel wachsen lässt. Alle  Vorhänge fallen, Klassen- und Rangunterschiede haben keine Geltung mehr, ein universaler Lastenausgleich ist im Gange - und deshalb diese wahnsinnige Freude. Nichts soll bleiben, wie es ist, alles kommt ins Lot. Die tödliche Angst vor Veränderung hat ein Ende, und lustvoll ist der Wunsch, alles zum Guten zurechtzurücken. Ja, der Osterglaube

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