Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

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Ich war zehn Tage im 1000-Sterne-Hotel. Ja, Sie haben richtig gehört: 1000 Sterne. Oder noch viel mehr. Wir haben unterm freien Himmel übernachtet. In der Wüste. Also dort, wo man die Sterne in der Nacht so gut sieht wie irgendwo sonst - weil es in der Wüste kein Streulicht von Siedlungen gibt. 

Mit 20 Leuten waren wir in Ägypten in der Wüste Sinai unterwegs. Wir haben nicht einfach Trecking gemacht, sondern Exerzitien. Eine bewusst spirituelle Zeit in der Wüste. Eine Zeit der Selbsterfahrung und der Gotteserfahrung. 

Mitten in der Nacht sind wir in der Wüste angekommen. Kalt war es. Isomatte, Schlafsack, schnell waren alle eingeschlafen. Und morgens sind wir in einer völlig anderen Welt als zuhause aufgewacht. Steine, Sand, Felsbrocken, nackte Bergrücken. Richtige Stein-Wüste. Zehn Tage hielt uns diese extreme Landschaft gefangen. Erst am letzten Tag sind wir wieder anderen Menschen begegnet. Geführt wurden wir von Beduinen. Jeden Tag einige Stunden Marsch, immer ein anderes Nachtlager. 

Kein eigenes Zimmer, kein Bett, kein Bad. Kein warmes Wasser, kein elektrisches Licht, kein Fernsehen, kein Internet. Kein gewohnter Tagesablauf. Nichts war wie sonst zuhause. Ich habe gemerkt: Eine gewohnte Umgebung und gewohnte Abläufe geben Halt. Das gab es hier in der Wüste alles nicht. Es ist ein Lebensraum, auf den man sich völlig neu einstellen muss. In dem ich neu lernen muss, wie das Leben geht. Und in dem ich erfahren kann, was wirklich lebensnotwendig ist. Ein Schluck Wasser ist auf einmal eine reine Wohltat - wenn er aus dem Brunnen mitten in der heißen Wüste kommt. Ein Stück frischgebackenes Fladenbrot ist ein Hochgenuss. Wenn es rund um mich nur noch Steine, Sand und Felsen gibt, und Hitze, und das tagelang, ohne Ausweichmöglichkeit, dann schärft das die inneren Sinne für das, worauf es im Leben ankommt.  

Natürlich freue ich mich jetzt zuhause wieder über mein Bett und die warme Dusche. Aber ich erlebe das alles bewusster, als etwas, was nicht selbstverständlich ist. Und ich unterscheide klarer als vorher, was für ein gutes Leben wesentlich ist und was zweit- und drittrangig ist. So wird das Leben intensiver.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=14724
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