SWR4 Abendgedanken

SWR4 Abendgedanken

Karneval bringt mich immer in die Zwickmühle. Einerseits erinnern mich diese närrischen Tage immer an meine Kindheit. Ach war das schön. Ich habe mich verkleidet. Nicht einfach so. Im Vorhinein habe ich mir Gedanken gemacht: Wer oder was bin ich denn dieses Jahr? Prinzessin oder Clown? Vielleicht sogar Cowboy, obwohl das nur für Jungs ist?
Und dann bin ich verkleidet voller Freude auf dem Faschingswagen mitgefahren. Ich war einfach mal jemand anderes: ich war dann mal Prinzessin, ganz grazil und vornehm, schick und elegant. Oder Cowboy: draufgängerisch und laut, mit einer Knallpistole am Gürtel.
Heute kann ich mit vielem am Karneval nichts mehr anfangen und manches, was ich so zu sehen und zu hören bekomme, ist mir wirklich peinlich.
Aber das Verkleiden und das ich mal in eine andere Rolle schlüpfen kann, genau das zieht mich heute noch an.
Dann bin ich mal nicht so wie ich immer bin: die seriöse Pfarrerin, die ernsthaft sein soll, aber gerne lacht, dann bin ich mal nicht die, die immer zuhört, sondern die, die auch mal laut ist und dummes Zeug macht. Und vor allem: In der Fasnacht muss ich mich auch nicht dafür schämen, wenn ich aus der Rolle falle. Heute ist es ja normal, nicht normal zu sein.
Und das ist ja die eigentliche Zwickmühle: Ganz klar zu bekommen, wer ich eigentlich bin. Auszuprobieren, mal anders zu sein. Mich nicht so zu verhalten, wie andere es erwarten. Erstmal nur so zur Probe.
Karneval gibt mir die Möglichkeit, eben mal anders zu sein. Mal die zu sein, die ich vielleicht gerne wäre. Und wenn ich dann merke: Das ist es doch nicht. Dann ist es nicht schlimm. Es ist ja Karneval. Da darf man anders sein.
Gott sei Dank. Denn Gott kennt mich. In Psalm 139 heißt es: „Herr, du erforscht mich und kennst mich." Manchmal muss ich noch herausfinden, wer ich bin. Aber Gott weiß es, denn er kennt mich. Und er begleitet mich, wenn ich mich ausprobiere. Auch am Karneval.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=14696
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