SWR2 Wort zum Tag

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„Vergiss mein nicht" - ein fast rührend harmloser Titel für einen so gewagten Film. Ab heute läuft dieser Film im Kino - und der Titel ist gut gewählt!

Der junge Dokumentarfilmer David Sieveking hat einen Film über seine demente Mutter Gretel gemacht. Er hat sie in ihrem zunehmend mühsamen Alltag ein Jahr lang mit Kamera und Mikrophon begleitet. Ein Jahr, in dem Gretel, eine hochgebildete und selbstbewusste moderne Frau, mehr und mehr ihr Gedächtnis verliert, sich selbst vergisst. Der Film war gerade geschnitten, als die Mutter gestorben ist.

 Fast habe ich mich vor dem Anschauen dieses Filmes gefürchtet. Und ich habe mich gefragt: Durfte David Sieveking überhaupt einen solchen Film über seine Mutter drehen, in einer solchen Lage? Die Frage hat sich für mich am Ende des Filmes erledigt. Nicht nur, weil der Film durchaus seine heiteren, hellen Momente hat. In diesem Film wird viel gelacht: gelacht über die manchmal überraschend schlagfertigen Kommentare der Mutter, oder über die Selbstironie des Vaters und Ehemanns, der seine Frau bis zur totalen Erschöpfung pflegt. Natürlich wird auch geweint in diesem Film.

Vor allem aber ist dieser Film kein Film über das Vergessen, sondern ein Film über das Erinnern -  ein Film über eine große Liebe, die neu entdeckt wird. Während Gretel Sieveking ihr Gedächtnis, ihre Erinnerung verliert, beschäftigt sich der Sohn immer intensiver mit dem Leben seiner Mutter. Genauso wie der Vater - am Ende legt  er fast so etwas wie eine Lebensbeichte ab. In ihrem Erinnern entdecken beide, Vater und Sohn ganz neu ihre Liebe zu  Gretel.

 In seinem gleichfalls gerade erschienenen Buch schreibt David Sieveking über seine Gefühle und Gedanken zum Film. Darin schreibt er: „Gretel lebt nur noch für uns, die wir noch Erinnerungen an sie aufbauen." Und der Vater, Mathematiker, Philosoph und sicher kein gläubiger Mensch im strengen Sinn, spricht von seiner Hoffnung: dass Gretel in seiner Erinnerung fortleben wird.

 Wer geliebt ist, wird nicht vergessen, selbst wenn er sich selbst vergisst. Mir gingen nach diesem so eindrucksvollen Film die Worte aus dem Buch Jesaja durch den Kopf: Darin klagt das Volk Israel, dass Gott es bestimmt vergessen habe. Der Prophet antwortet darauf: Kann denn eine Frau ihr kleines Kind vergessen, eine Mutter ihr eigenes Kind! Selbst wenn sie es vergessen würde, Gott vergisst es nicht.

 Wenn ich die Worte der Bibel ernst nehme, Wie groß muss dann diese Liebe Gottes sein!

https://www.kirche-im-swr.de/?m=14675
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