SWR2 Wort zum Tag

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Was vermag das Gebet?
Es hat nicht vor dem Menschenofen bewahrt; es hat nicht die Freiheit gebracht; Völker nicht erlöst. Aber es hat Gefangene Jahr um Jahr erquickt, ist der Sinn ihres weltverlorenen Lebens gewesen, ihr Dasein in unzerreißbarem Zusammenhang mit Gott, den Lebenden und den Toten. Es hat Märtyrer umschwebt auf ihrem letzten Gang. Aber Mütter, Bräute, Väter, Freunde haben es in die Nacht geschickt und keine Antwort vernommen.
Diese Frage, was das Gebet vermag, stellt der Dichter Reinhold Schneider im Nachwort zu seiner Auslegung des Vaterunsers, noch ganz unter dem Eindruck von Nazizeit und Terror, von Krieg und Gewalt.
Was also vermag das Gebet?

Es kann nicht vor Unglück und Tod bewahren, nicht vor Krankheit, nicht vor Krieg und Gewalt, aber es kann in Kummer und Leid nicht allein lassen, mich wie einen Mantel in schweren Stunden umhüllen.
Wenn ich bete, breite ich mein Leben aus: ich lobe oder klage, träume von Hoffnung oder weine beim Beten vor Kummer, suche und taste nach eigenen Worten. Im Gebet nenne ich die Dinge beim Namen. Ich finde Sprache für das, was ich beklage, was ich wünsche, was ich erhoffe, und ich vertraue auf ein Gegenüber, das mich hört. Es mag laut oder leise geschehen, schreiend oder in ausformulierten Worten, immer ist es Ausdruck eines tiefen Gefühls.
Es ist schön, das Leben nicht stumm zu lassen. Es ist schön, die Stimme im Gebet zum Dank zu erheben, zum Protest, zur Empörung, sagt Fulbert Steffensky.
Im Gebet ersehne ich eine Welt, in der es nicht mehr Kampf und Feindschaft, nicht mehr Krieg und Gewalt gibt. Darum heißt beten: große Wünsche haben. Denn wer betet, findet sich nicht ab mit der Welt, wie sie ist.
Woher nehme ich aber die Sprache, wenn ich selbst keine Worte finde? Ich muss nicht sprachlos werden. Es gibt Orientierungspunkte in meinem Leben, die mir helfen, mich auszusprechen. Es sind die Ur-Kunden des Glaubens: zum Beispiel das Vaterunser oder einzelne Psalmen. Worte wie zum Beispiel aus Psalm 13, die der Klage Ausdruck geben, auch wenn ich keine Antwort erhalte.
Wie lange, o Herr, willst du meiner so ganz vergessen?
Wie lange verbirgst du dein Antlitz vor mir?
Wie lange soll ich Schmerzen hegen in meiner Seele,
Kummer im Herzen Tag und Nacht?

https://www.kirche-im-swr.de/?m=14649
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