SWR2 Wort zum Tag

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Was bindet Menschen an die Kirche?, was erwarten sie von ihr? Was stört sie an der Kirche?, warum kehren sie ihr den Rücken? Dazu hat die Diözese Rottenburg-Stuttgart vor wenigen Tagen die Untersuchung eines externen Instituts vorgestellt. Über 3.000 Katholiken aus der Diözese wurden befragt, außerdem etwa 1.000 Nichtkatholiken. Die Ergebnisse sind sehr aufschlussreich. Nicht nur für das schwäbische Bistum, und auch nicht nur für die katholische Kirche.

 Wie sehr diese Fragen die Menschen bewegen, zeigt sich daran, dass aus manchen Telefoninterviews zweistündige Gespräche wurden. Das ist verständlich, denn 80 Prozent der Befragten sagen, der Gottesglaube sei für sie persönlich sehr wichtig; fast die Hälfte gibt an, täglich zu beten oder zu meditieren.

 Anders als vielleicht vermutet, sagen Dreiviertel der Gesprächsteilnehmer, sie hätten noch nie ernsthaft darüber nachgedacht, aus der Kirche auszutreten. In der Kirche zu sein gehöre für sie zu ihrem Glauben. Der Gottesdienst tue ihnen gut, auch die Begegnung mit Menschen, die überzeugen. Die Kirche gebe ihnen Orientierung in Wertefragen.

Und was erwarten sie von der Kirche? Zuallererst erwarten sie, dass sich die Kirche stärker öffentlich einbringt, wenn es um soziale Fragen und Nöte geht, um Lebenshilfe, um die Zukunft von Kindern und Jugendlichen. Das Christentum bleibe das Fundament der Werte unserer Gesellschaft, darin sind sich fast 90 Prozent der Befragten einig. Dass die Kirche sich mit sich selbst, ihren Strukturen und Binnenproblemen beschäftigt, steht für die wenigsten Kirchenmitglieder im Vordergrund. Noch weniger akzeptieren sie, dass sie sich in die Gestaltung ihrer Ehe und ihrer Sexualität einmischt.

 Am wichtigsten ist für Katholiken wie Nichtkatholiken die Toleranz. Nahezu alle betonen das. Toleranz ist geradezu ein Leitwert. Toleranz als Offenheit, als Respekt gegenüber dem, wie Andere denken und fühlen, wie sie ihr Leben gestalten, was ihnen wichtig und heilig ist.

 Diese wenigen ausgewählten Aspekte berühren mich in meinem eigenen Selbstverständnis als katholischer Christ. Das Evangelium, in dessen Dienst die Kirche steht, ist für den sozialen Zusammenhalt unserer Gesellschaft und für die Orientierung des Einzelnen eine Kraft, die nicht fehlen darf. Die Kirche muss sich Gehör verschaffen. Das erwarten viele von ihr. Der Rückzug in die Sakristei, in die selbst gewählte Isolation ist nicht ihr Weg. Aber sie muss dies tun in einer Haltung der Offenheit gegenüber dem, wie Menschen heute leben und was sie bewegt. Nicht unkritisch, aber mit der Bereitschaft zu verstehen.

 Ermutigende Aussagen. Und eine starke Herausforderung.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=14636
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