SWR2 Wort zum Tag

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Ich finde es schön, in einem Pfarrhaus zu leben, in dem auch Koransuren gebetet werden. Das kommt nicht allzu oft vor, aber neulich habe ich das erlebt.
Eine internationale Gruppe von Architekturstudenten hatte sich zum Besuch angemeldet, sie wollten im Rahmen ihres Stadtplanungskurses über unseren Stadtteil informiert werden. Sie waren eine halbe Stunde später dran als verabredet. Als sie mit erhitzten Gesichtern endlich ankamen, sollte es losgehen. Aber zwei von ihnen blieben in der Tür stehen. Wir müssen noch beten, sagten sie. Uns reicht eine Ecke irgendwo. Dürfen wir das hier tun?
Es dauerte einen Moment, bevor ich begriff: Die beiden sind Muslime und halten sich an die religiöse Vorschrift der Gebete im Verlauf des Tages.
Natürlich können Sie hier beten, sagte ich. Die beiden zogen sich in einen Nebenraum im Pfarrhaus zurück. Zu spät fiel mir ein, dass dort gerade große Bilder gelagert waren, die wir für eine kleine Ausstellung mit Andachtsbildern gesammelt hatten. Nun beteten die beiden muslimischen Gäste - aus Ägypten und Palästina übrigens - also zwischen lauter frommen Jesusbildern. Beim Verabschieden bedankten sie sich. Meine etwas verlegene Frage, ob die Umgebung für sie sehr unpassend gewesen sei, verneinten sie mit einem Lachen. Aber nein, sagte einer der beiden, mit Jesus kennen wir uns aus, den verehren wir als Propheten im Koran. Es kam uns so vor, als beteten wir mit ihm zusammen.
Später habe ich mich kundig gemacht, wo sie sonst beten könnten, wenn sie nicht von einem Termin zum nächsten rennen müssen. Ich weiß, zum Beten brauchen Muslime nicht in eine Moschee zu gehen, außer an den Freitagen, da sollten sich gläubige Muslime zum gemeinsamen Gebet und zur Predigt des Imam versammeln. In Stuttgart kommen laut Auskunft der islamischen Verbände etwa 4.000 Muslime zu den Freitagsgebeten zusammen. Aber wo? Auf einer gemeinsamen Internetseite der islamischen Verbände sind für Stuttgart 21 Moscheen eingetragen. Sicher gibt es weitere, die dort nicht verzeichnet sind. Wer also in die Stadt kommt und eine Moschee sucht, wird nicht anhand von Türmen fündig wie bei den Kirchen, sondern über Informationen und Lagepläne auf Internetseiten. Diese Gebetsräume sind fast unsichtbar, in Hinterhöfen oder ehemaligen Fabrikhallen eingerichtet.
So auch in unserer Nachbarschaft. Eine große Moscheegemeinde versammelt sich in einer ehemaligen Großbäckerei bei uns um die Ecke, zwischen dem evangelischen und dem katholischen Kirchturm gewissermaßen. Wir Nachbarinnen und Nachbarn wissen davon.
Aber muslimische Gäste, die neu in die Stadt kommen? Sie müssen ihre Wege finden, auch ohne die sichtbaren Zeichen religiöser Präsenz im Stadtbild.
Gut, wenn da ein Pfarrhaus am Wegrand liegt.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=14578
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