SWR2 Wort zum Tag

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Gerschom: „Ich bin ein Gast geworden im fremden Lande." (2. Moses 18,3). So nennt der biblische Moses einen seiner Söhne, aus Dankbarkeit, dass er bei seiner Flucht aus Ägypten Sicherheit und Schutz im Nachbarland Midian fand. Moses erlebt am eigenen Leib das biblische Gebot der Gastfreundschaft, denn: Wer fremd ist im Land, steht unter Gottes besonderem Schutz.
Emil und Wilhelm: So hießen die beiden Vettern meiner Urgroßmutter, die Ende des 19. Jahrhunderts nach Amerika ausgewandert waren. Erst vor kurzem hat meine Mutter in alten Unterlagen zwei Briefe gefunden, die sie damals nach Hause geschrieben hatten. Emil und Wilhelm berichteten, sie seien wohl behalten in New York angekommen, alles sei ganz fremd und anders, und sie seien jetzt auf der Suche nach Arbeit Richtung Westen weitergefahren.
So wie den beiden ist es vielen damals gegangen. Sie waren Wirtschaftsflüchtlinge, ausgewandert aus einer Region im Südwesten Deutschlands, in der es nicht genug Arbeit und Verdienst gab. Sie wollten ihr Glück in Amerika suchen. Dort brauchte man Arbeitskräfte, da konnte man sich ein neues Leben aufbauen.
„Ich bin ein Gast geworden im fremden Lande." - das erleben Menschen auch heute bei uns:
Im benachbarten Pflegeheim treffe ich David und Elena, Wirtschaftsflüchtlinge. Auch sie sind weggegangen aus ihrem Land, aus Spanien. Dort sind junge Leute wie sie arbeitslos. Jeder zweite dort. Die beiden und einige andere mit ihnen haben sich anwerben lassen, um hier bei uns zu arbeiten. Sie kommen zwar aus Pflegeberufen, aber ohne Sprachkenntnisse. Deshalb sorgt der Träger des Pflegeheims dafür, dass sie erst einmal einen Sprachkurs besuchen, währenddessen arbeiten sie schon einmal einen Tag in der Woche im Haus mit. Es dauert nicht lange, bis sie dann fest zum Team der Pflegestation gehören.
Wenn ich meine Besuche im Pflegeheim mache, sehe ich, wie es ihnen gelingt, mit wenig Sprachkenntnissen aber freundlichen Gesten und Blicken jemanden aufzumuntern oder zum Essen zu bewegen. Leider kann ich kein Spanisch, um ihnen zu sagen, wie froh ich bin, dass sie da sind. Denn sie werden gebraucht! Ihre Kompetenz und Kraft und ihre Bereitschaft, sich in ihren Berufen zu engagieren. Sie tragen viel zum Wohlergehen in unserer Gesellschaft bei.
„Ich bin ein Gast geworden im fremden Lande". - Urgroßonkel Emil und Wilhelm waren Handwerker. Sie fanden rasch Arbeit als Gleisbauer im fernen Amerika. Hoffentlich hat jemand sie damals freundlich willkommen geheißen.
Ich will, dass David und Elena und die anderen das heute bei uns erleben. Nächstes Mal, wenn ich ins Haus komme, werde ich ihnen das sagen. Womöglich auf Spanisch? Ich geb mir Mühe.

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