SWR3 Gedanken

SWR3 Gedanken

Zugegeben: ein chinesisches Schriftzeichen im Radio zu beschreiben ist etwas mühsam. Ich probiers trotzdem mal, weil mir bei der Sache ein Licht aufgegangen ist. Das chinesische Wort „Krise" besteht aus zwei Schriftzeichen. Das erste gleicht einem schnell gezeichneten Blitz und heißt „Gefahr". Das zweite sieht mit viel Fantasie aus wie ein Brautpaar und bedeutet „Chance".
Eine Krise besteht also aus Gefahr und Chance, das müssen die alten Chinesen irgendwie geahnt haben. Dass eine Krise etwas Gefährliches hat ist nicht neu für mich. Aber das mit der Chance finde ich interessant.
Ich habe einmal die Geschichte eines Schiffbrüchigen gelesen, der auf einer einsamen Insel strandet. Mit seinen letzten Kräften baut er eine Hütte aus Holz, um darin seine geretteten Vorräte und Habseligkeiten trocken zu halten. Als er am nächsten Tag von einer Erkundungstour zurückkommt, sieht er dicken Rauch aufsteigen. Seine Hütte brennt lichterloh. Alle Arbeit umsonst, denkt er. Und das schlimmste: seine Vorräte verbrennen gleich mit. Die Lage scheint hoffnungslos. Aber Stunden später hält eine Yacht Kurs auf die Insel und legt an. Verwundert fragt der Schiffbrüchige: „Woher wusstet ihr, dass ich hier bin?" Der Kapitän antwortet: „Wir haben ihre Rauchzeichen gesehen." 
Klar, das ist nur eine Geschichte. Aber immer wieder erzählen mir Menschen von ihren Krisen und wie sich daraus andere Perspektiven oder neue Aufbrüche ergeben. Manchmal krempelt sich ein ganzes Leben um und bekommt eine ganz neue Qualität. Und manchmal erfahre ich auch von so schweren Schicksalsschlägen, dass an Aufbrüche gar nicht zu denken ist. Da heißt es dann erstmal nur aushalten.
Und trotzdem, wenn ich auf meinen eigenen Lebensweg schaue, da wird mir klar, dass es die Krisen waren, die mich voran gebracht haben. Ein bisschen so wie in der Geschichte mit dem Schiffbrüchigen vielleicht. Oder, wie es die alten Chinesen scheinbar schon lange wussten: Krise = Gefahr + Chance.

 

https://www.kirche-im-swr.de/?m=14540
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