SWR1 Begegnungen

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Wolf-DieterSteinmann,evang.Kirche,trifft Patrick Zimmerer Diplomtheologe und Betriebsseelsorger bei Firma Nußbaum in Kehl-Bodersweierbegegnungen > patrick_zimmerer.jpg

Wie ein Schweizer Taschenmesser
Er hat Maschinenbau studiert und katholische Theologie. Hat Flugzeugmotoren repariert und bei einer Hilfeorganisation in Afrika gearbeitet. Patrick Zimmerer lässt seine Talente nicht verkümmern.

Ich vergleich mich ganz gern mit einem Schweizer Taschenmesser. Das ist nicht nur ein Messer, sondern auch eine Schere, eine Feile, eine Säge, ein Korkenzieher. Zwar nicht alles in Perfektion, aber alles brauchbar.

Er könnte sich verzetteln, alles nur halb machen. Aber er sieht seine Gaben als Verpflichtung.

Mein großer Grundsatz ist ja, Gabe führt zu Aufgabe. Und da ich halt viele Talente bekommen habe, habe ich auch die Aufgabe bekommen, denen vielleicht auch gerecht zu werden.

Patrick Zimmerer hat Glück und ist ein absoluter Einzelfall: Normalerweise gibt es Betriebsseelsorger oder Industriepfarrer bei den Kirchen. Patrick Zimmerer ist direkt von einer Firma angestellt. Seit 1 ½ Jahren ist er Seelsorger bei „Nußbaum" in der Nähe von Kehl in Baden, einem weltweit aktiven mittelständischen Betrieb. Die Idee für einen Betriebsseelsorger hatte der Chef des Unternehmens. Patrick Zimmerer kann endlich seine Liebe zu Technik und Theologie verbinden.

Man sieht ihm nicht an, dass er der Betriebsseelsorger ist: Pullover, Jeans, Bart. Leichtfüßig kommt der 35 jährige die Treppe herunter. Er könnte auch Entwicklungsingenieur sein. „Würdiges" Outfit ist privat nicht sein Ding und beruflich auch nicht. Schwellenangst würde schaden, seine Arbeit lebt vom Vertrauen der Mitarbeitenden. Darum ist er oft in den Produktionshallen.

Dass man da ist, immer wieder da ist, immer wieder Kontakt aufnimmt, immer wieder nachfragt, dass wenn eben das Schicksal an die Tür klopft, dass dann auch präsent für die jeweiligen, da ist jemand, den kann ich ansprechen.

Der Betriebsseelsorger ist angekommen in der Firma. Fühlt sich persönlich und mit dem was er anbieten kann angenommen von den Mitarbeitenden. Anlässe, sich vertrauensvoll an ihn zu wenden, gibt es genug.

Man möchte vielleicht auch mal Dampf ablassen, man möchte auch mal klagen. Ein offenes Ohr haben das ist eine der großen Aufgaben und dann kann doch mal ‚Mensch ich schaff das nicht mehr' zum Seelsorger sagen und der kann sagen: ‚Ja, ich seh das auch so

Patrick Zimmerer hat Schweigepflicht. Aber wenn persönliche Sorgen auf Ursachen im Betrieb hindeuten, wird er gehört. Vom Chef. Er möchte ein positiv menschliches Klima fördern.

Was ganz wichtig ist, auch Lob weiter zutragen. Das tut den Menschen gut und es wird viel zu wenig gelobt in der heutigen Arbeitswelt. Meistens nur einmal bei der Weihnachtsfeier.

Im Lauf unserer Begegnung wird mir klar, was ein Seelsorger leisten kann: Menschlichkeit im Betrieb fördern, bis hin zu Krankenbesuchen. Auch Angehörige begleitet er in schwierigen Situationen.

Trotzdem, glaube ich, ist seine Position nicht ganz einfach:

Vertrauen schenkt man ihm nur, wenn er frei ist.

So neutral wie möglich. Ich bin auf der einen Seite in der Firma drin, ich bin aber weit genug draußen, dass ich nicht hineingezogen bin und neutral sein kann, um nicht auf eine Seite gezogen werden zu können.

Ein spannendes Experiment. Erinnert mich an Jesus. Der hat Gott auch direkt zu den Menschen getragen. Experimentierfreudig sind auch Patrick Zimmerer und sein Chef. Der hatte die Idee, diesen neuen Weg für Menschlichkeit in der Firma zu probieren.

Ich fand die Idee toll und habe mich dann gemeldet. Der Hintergedanke bei Herrn Nußbaum war, dass Kirche präsent sein muss, wo die Menschen sind und wo sind die Menschen die meiste Zeit des Tages? In der Arbeit.

Und für ihn persönlich, mit seinen Interessen und Gaben, passt diese Aufgabe wie angegossen.

Auf der einen Seite bin gerne und mit Leib und Seele Techniker und mich interessiert das total und auf der anderen Seite bin ich doch gern philosophisch-theologisch unterwegs. Und das zu verbinden, das ist schon was Wunderbares, also für mich schon toll.

Vielleicht ist die Zeit reif für solche Modelle. Patrick Zimmerer spürt das, wenn er alten Kollegen aus seiner Zeit als Flugzeugmechaniker erzählt, was er heute macht.

‚Ich bin wirklich Betriebsseelsorger'. Dann erklär ich was ich tue und dann sagen viele: ‚Oh, das hätte ich jetzt gar nicht gedacht, aber ich finde das gut und ich wünschte mir, wir hätten auch so etwas.'

Glücksfall - sogar Modell?
Schon als kleiner Junge hat Patrick Zimmerer Seifenkisten gebaut, erzählt er mir strahlend. Und kein elektrischer Schalter war vor ihm sicher, auseinandergebaut zu werden. Und so ist es bis heute. Maschinenbau hat er studiert. Flugzeugmotoren repariert. Aber nur Technik?
Da würde ein großer Teil von ihm brach liegen. In einer Ausbildungspause hat er angefangen, auch noch katholische Theologie zu studieren. Feuer gefangen und gemerkt.

Ich kann es nicht abbrechen, das ist viel zu spannend. Hört sich vielleicht komisch an, aber das Theologiestudium ist spannend wie ein Krimi und ich wollte einfach wissen, wie es ausgeht.(lacht)

Und jetzt steht er da und kann beides: Technik und Theologie. Will keines nur zum Hobby machen, sondern beide im Beruf verbinden. Bewundernswert. Bei mir -und vielen anderen- habe ich das Gefühl, dass im Berufsleben Gaben, die ich von Gott auch bekommen habe, verkümmern. Oder sie kommen nur privat zugute. Patrick Zimmerer würde da was fehlen.

Da ich halt viele Talente bekommen habe, habe ich auch die Aufgabe bekommen, denen vielleicht auch gerecht zu werden und habe dann immer dieses Bild im Kopf - in der Bibel - als der Verwalter kommt und sagt: Dir habe ich soundsoviele Talente gegeben und was hast du damit gemacht? Mein großer Grundsatz ist ja, Gabe führt zu Aufgabe.

Als Betriebsseelsorger kann er beides glücklich verbinden. Eigentlich könnte er rundum zufrieden sein. Aber irgendwie bleibt wohl immer etwas unerfüllt: Er könnte mit seinem Studium ja auch Priester werden.

Ich merk, dass mir das Priestersein fehlt. Aber da frage ich mich, ob ich nicht so viel freier bin, viel offener und viel besser an Menschen herankomme als wenn ich Priester wäre, weil da eine gewisse Distanz, eine gewisse Hürde aufgebaut ist.

So ähnlich muss man das wohl machen: Wirklich stehen zu dem, wofür man sich entschieden hat, es vor sich und anderen auch ‚gut' reden. Und zugleich die Sehnsucht nach dem, was noch möglich sein könnte, am Leben halten. Für Patrick Zimmerer hat sich als Betriebsseelsorger jedenfalls Wichtiges erfüllt.  

Das Begleiten von Menschen in ihrem Leben, das ist das Spannendste überhaupt für mich. Und das ist glaube ich auch der Kern der Religion. Also: Menschsein in Fülle, in allen Lebenssituationen, mit Menschen zu lachen und zu weinen, das ist es, was mich erfüllt, irgendwo.

Und er würde sich freuen, wenn aus dem Experiment ein Modell würde. In anderen Unternehmen: Die auch wissen, dass auch ungewisse Investitionen voran bringen.

50 % der Marketingkosten laufen ins Leere, man weiß nur nicht, welche 50 %. Vielleicht sind 50 % meiner Zeit auch ins Leere, aber vielleicht sind es die anderen 50 %, die mithelfen, wo Menschen besser zueinander finden und das dann zu mehr Produktivität führt.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=14537
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