SWR2 Wort zum Tag

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Die Gesunden und die Kranken verstehen einander nicht. Sie leben in zwei Welten. Wenn die Besuchszeit um ist, dann können die einen gehen - die anderen müssen bleiben. In ihrer Hilflosigkeit, ihrer Verzweiflung und ihrer Angst. Thomas Bernhard, der österreichische Dichter, hat auch noch in dieser Angst Worte gefunden.
Mit achtzehn Jahren hatten die Ärzte ihn aufgegeben. Er lag im Sterbezimmer, um ihn herum todkranke Erwachsene. Eigentlich hatte er Sänger werden wollen. Aber bei so etwas Banalem wie dem Kartoffeln abladen im Winter hatte er sich eine Rippenfellentzündung geholt und wurde schwer krank. „Ich weiß keine Straße mehr die hinaus führt. Ich weiß keine Straße mehr. Komm hilf. Ich weiß nicht mehr. Was mich befallen wir. In dieser Nacht. Ich weiß nicht mehr was Morgen ist. Und Abend. " So beginnt ein Gedicht von Thomas Bernhard. Für den Kranken verschwimmt die Zeit. Aufwachen, Einschlafen, wieder Aufwachen. Immer ein Dämmer, ein Immer-todmüde-sein, und kein wirkliches Wachwerden mehr. Damals, in dieser Zeit im Krankenhaus, verlor er seinen geliebten Großvater. Und den Tod seiner Mutter erfuhr er aus der Tageszeitung. „Ich bin so allein O Herr. Und niemand trinkt mein Leiden. Keiner steht an meinem Bett. Und nimmt die Qual mir." In diesem Gedicht findet er Worte für das, was viele fühlen, die krank geworden sind: tiefe Hilflosigkeit und Verzweiflung, Einsamkeit, Angst und das Gefühl: Ausgeliefert zu sein.
Bernhard wendet sich in diesem Gedicht an den, der da einzig am Krankenbett noch übrig ist. „O Herr. In meinem Wort ist Finsternis. O Herr erhöre mich." Der Herr: Ein Zeuge der Qual, die er nicht abnimmt. Ein Zeuge der Einsamkeit, die er nicht aufhebt. Und doch einer, zu dem man noch reden kann, ohne Worte, ohne Atem. „O hör mich an-Ich will nicht mehr allein die Übelkeit. Und diese Welt ertragen. Hilf mir. Ich bin schwach und arm. Mein Wort verbrennt in Traurigkeit. Für Dich."
Thomas Bernhard nannte sich religiös, aber ohne jeden Glauben. Es ist dieses „Du" in seinem Gedicht, das ihm geholfen hat, zu klagen, Worte zu finden und vielleicht auch dabei, sich selbst nicht aufzugeben.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=14527
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