Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

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„Eigentlich bin ich ganz anders, ich komme nur so selten dazu." Eine tiefe Wahrheit steckt für viele hinter diesem Spruch. Eigentlich bin ich locker und freundlich, aber der Stress macht mich hart. Eigentlich bin ich ein friedliebender Mensch, aber meine Nachbarn treiben mich zur Weißglut. Eigentlich will ich meine Kinder geduldig erziehen, aber ich bin oft so hilflos, weil ich sie nicht verstehe. Eigentlich würde ich gerne mal mit der Faust auf den Tisch schlagen, aber ich kann nicht.
Eigentlich, eigentlich, eigentlich. ..
Der Spruch zeigt, dass jeder Mensch auf irgendeine Art und Weise zwei Gesichter hat, die sich sehr voneinander unterscheiden können. Und es gibt genug Menschen, die sich dessen bewusst sind und darunter auch leiden. Im breiten Angebot von Meditations- und Selbsterfahrungsgruppen finden sich deshalb immer wieder genau diese Themen und Fragestellungen:
Was hindert mich denn eigentlich daran, so zu sein, wie ich eigentlich bin? Was macht es mir so schwer, tatsächlich meiner Sehnsucht zu folgen, mein Leben zu ändern, anders auszurichten?
Eigentlich bin ich ganz anders....
In der Bibel gibt es Sätze, die genau diesen Zwiespalt im Menschen thematisieren.  „Euer Ja sei ein Ja, euer Nein ein Nein", sagt Jesus in der Bergpredigt. Und wer sein Jünger sein will, der muss sich bei klarem Verstand der Konsequenzen bewusst sein, die daraus erwachsen können. „...der nehme sein Kreuz auf sich und folge mir nach", so heißt es im biblischen Klartext. Sich selbst treu zu bleiben, das gibt es nicht zum Nulltarif und kann ganz schön anstrengend sein.  „Eigentlich bin ich ganz anders..." Große Menschen der Geschichte aber auch christliche Vorbilder, Heilige und Märtyrer haben oft dieses Eine gemeinsam: Sie sind sich treu geblieben, haben keine leichteren Wege gesucht.
Unzählige namenlose und auch zu Recht berühmte Menschen nahmen, wie es im Evangelium heißt „ihr Kreuz auf sich" und lebten für ihre Überzeugung, in allen Religionen und Weltanschauungen. Und ich stehe staunend, skeptisch, vielleicht ein wenig niedergeschlagen, hilflos und die Schulter zuckend vor diesen Menschen und überlege, wo mein Beitrag, mein Platz sein könnte. Vielleicht belasse ich es heute Morgen einfach mit einem kurzen Gebet: Herr, gib mir Kraft und steh mir bei, ein Mensch zu sein, der nicht anders werden muss, um heute sein wahres, sein menschliches Gesicht zu zeigen.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=14525
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