SWR2 Wort zum Tag

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Schnee an Weihnachten wäre schön gewesen. Warum eigentlich? Mir fallen viele Gründe ein: Die weiße Pracht deckt allem einen sanften Mantel über. Der Winter entlaubt die Blätter, die Natur macht Pause. Da wirkt alles trist und grau. Aber mit Schnee liegt plötzlich ein Zauber über der Landschaft. Alles glitzert und strahlt. Es wird hell in der Nacht. Und alle Geräusche werden plötzlich leise. Die Welt hält den Atem an, wenn es schneit.

Kein Wunder, dass für viele diese Stimmung zu Weihnachten gehört, zum Fest der Geburt.

Wer selbst schon einmal bei einer Geburt dabei sein durfte, der weiß: In dem Augenblick, in dem das Kind geboren wird, da ist alles andere unwichtig. Da zählt nur dieses Kind. Da hält die Welt den Atem an.

So einmalig wie ein Kind ist aber auch der Schnee. Das hat Wilson Bentley für uns entdeckt. Schon als Jugendlicher hockte er Ende des 19. Jahrhunderts auf einer Farm in den USA in einem kalten Schuppen und betrachtete das Wunder des Schnees - durch ein Mikroskop. Er entdeckte etwas Sensationelles: Jede Schneeflocke ist einmalig. Nie fand Bentley zwei gleiche Schneekristalle. Er fing an, die Schneeflocken zu fotografieren. Am 15. Januar 1885, heute vor 128 Jahren, gelang ihm das erste Foto. Mehr als 5.300 folgten.

Richtig beweisen konnte Bentley seine These zwar nicht, dass jeder Schneekristall einmalig sei. Aber seine Bilder zeigen trotzdem, was jeder weiß, der einmal seine Hand in die Luft gehalten und eine Schneeflocke gefangen hat: Dass selbst der völlig unscheinbare und vor allem schnell vergängliche Schnee ein Wunder ist. Und dass jede einzelne Schneeflocke ein wahres Wunderwerk ist.

Bentleys Fotos ziehen Menschen bis heute in den Bann. Mir erzählen sie etwas über Wunder im Alltag. Bei Wunder, da denken die meisten an etwas Spektakuläres. An einen unheilbar kranken Menschen, der gesund wird. An einen Unfall, den alle Beteiligten unverletzt überstehen. An eine Versöhnung zwischen Menschen, die schon jahrelang nicht mehr miteinander gesprochen haben. Oder an die Geburt eines Kindes.

Wilson Bentleys Schneeflockenfotos machen deutlich: Wunder können viel kleiner sein. Zum Beispiel in einer kleinen, einmaligen Schneeflocke. Ich muss nur meine Welt genau ansehen. Muss hinsehen, dann lässt sich das Wunder entdecken.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=14521
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