SWR2 Wort zum Tag

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Ansehen haben, von anderen geschätzt werden - das ist ein menschliches Grundbedürfnis. Entsprechend setzen wir uns dafür ein, denn dieses Ansehen fällt uns nicht einfach in den Schoß. Wir können versuchen, durch unsere Anstrengung und Leistung einen guten Platz in unserer Gesellschaft zu bekommen. Früher war das kaum möglich. Wer oben war, blieb immer oben, und wer unten war, hatte keine Chance.

Aber es gab auch Ausnahmen - wie die Geschichte der Hagar im Alten Testament zeigt. Hagar war eine Magd, ihre Herrin war Sara, die Frau des Stammesführers Abraham. Sara genoss daher großes Ansehen. Und doch war ihre Stellung auch bedroht, sie hatte nämlich keine Kinder. Um diesen Makel auszugleichen, griff sie zu einem damals üblichen Mittel. Sie führte ihre Magd ihrem Mann zu, damit er mit ihr schlief und sie von ihm schwanger würde. Dieses Kind würde dann rechtlich als Saras Kind gelten.

Doch als Hagar tatsächlich von Abraham schwanger wird, verändert sich etwas im fest gefügten Verhältnis von Herrin und Magd. Hagar wird selbstbewusst - schließlich wird ihr Kind der Erbe Abrahams sein. Das lässt sie auch Sara spüren. Und obwohl Sara das Ganze ja initiiert hat, kann sie den Mutterstolz Hagars nicht ertragen. Zu tief rührt er an ihre eigene Wunde. Sie wird hart und grausam gegenüber Hagar,  so dass diese schließlich davon läuft. In dieser Geschichte spiegelt sich eine menschliche Grunderfahrung. Das Ansehen und die Stellung des einen geschieht nicht selten auf Kosten des anderen. Deswegen führen Menschen oft erbitterte Kämpfe um dieses knappe Gut.

Hagar läuft weg von Sara, aber sie hat keinen Ort, wo sie hingehen könnte. Da ist nur die Wüste. Erschöpft macht sie Rast an einer Quelle. Und dort begegnet ihr ein Engel. Er spricht sie an: „Hagar, Magd Saras, woher kommst du, wohin gehst du?" Zum ersten Mal wird sie mit Namen angesprochen. Sie hat eine eigene Würde als Person, noch vor ihrer Stellung als Magd Saras. Der Engel hat für Hagar keine einfache Lösung. Er vermag nicht, die gesellschaftlichen Realitäten außer Kraft zu setzen. Hagar muss wieder zu Sara zurückkehren und sich unterordnen, um ihrem Kind eine Lebenschance zu geben. Doch gerade dieses Kind soll sie Ismael nennen,  das heißt: „Gott hört".

Obwohl sich äußerlich nichts verändert hat, kehrt Hagar anders zurück. Sie hat eine tiefe Gotteserfahrung gemacht. In ihrer auswegslosen Situation hat Gott  nach ihr geschaut. Dieses „Angesehen-sein" gibt ihr ein „Ansehen", das nicht mehr zerstört werden kann.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=14506
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