SWR2 Wort zum Tag

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In der kleinen Stadt Admont in der Steiermark gibt es ein Benediktinerkloster mit einer bedeutenden Bibliothek aus der Barockzeit. Der Schatz an Büchern und Handschriften aus fast elfhundert Jahren, die Deckengemälde, und die Skulpturen des Künstlers Josef Stammel locken jährlich Tausende von Besuchern an. Stammel schuf auch die beiden Holzreliefs an den Schmalseiten dieser Bibliothek, die das gesamte Wissen des 18. Jahrhunderts enthielt.

Die beiden Skulpturen veranschaulichen den Horizont, von dem her alles Wissen der Welt erst seinen Wert bekommt. Auf der einen Seite ist das „Salomonische Urteil" dargestellt. Das Holzrelief zeigt König Salomon als Richter, der zwischen zwei Frauen, die um ein Kind streiten, die wahre Mutter ermittelt. Er weiß nicht, was wahr ist. Allein das Vertrauen in die Kraft der Liebe kann ihm helfen, zu entdecken, welche Mutter dem Kind gut tun wird. Und so spricht er es der Frau zu, die bereit ist, auf das Kind zu verzichten, um ihm Leid zu ersparen. Wahr ist, was leben hilft. Das sagt diese alte Geschichte, die fortan zum Gleichnis für ein gerechtes Urteil geworden ist. Wahrheit in diesem Sinn wird durch das Vertrauen in die Kraft der Liebe gefunden. Vertrauen und suchen, was dem Leben dient, das macht Salomons Weisheit und die Kostbarkeit allen Wissens aus.

Dem „Salomonischen Urteil" gegenüber ist „Der im Tempel lehrende Jesus" dargestellt. Das in Holz geschnitzte Relief zeigt in der Mitte Jesus, aufrecht stehend. Vor ihm Gruppen von Menschen mit Schriftrollen und Büchern, die diskutierend und gestikulierend das Bemühen um die Erkenntnis der Wahrheit anschaulich machen. Jesus ist im Gespräch mit ihnen, und dieses Gespräch scheint zu bewirken, dass die um Wissen und Wahrheit bemühten Menschen etwas auseinanderrücken. Ein Raum öffnet sich, der den Blick freigibt auf eine Gestalt, die am Boden liegt. Sie leidet an einer Krankheit, leicht zu erkennen an dem Glöckchen, das sie in einer Hand hält. Zur Zeit Jesu mussten die Aussätzigen mit einem Glockenzeichen auf sich aufmerksam machen, damit die Gesunden ihnen rechtzeitig aus dem Weg gehen konnten. Das Gespräch Jesu mit den Gelehrten seiner Zeit hingegen rückt Menschen ins Blickfeld, deren Elend der Wahrheitssuche eine neue Richtung gibt.

Das ist die Botschaft der beiden Skulpturen an den Wänden der alten Bibliothek in Admont: Auch die beeindruckendste Ansammlung von Wissen dient nicht dem Wissen als solchen. Sie erhält ihren Sinn erst von der Frage, was dem Leben der Menschen dient. Alles Erkennen ist nichtig, wenn es sich nicht verbindet mit dem liebenden Blick darauf, was Menschen zum Leben nottut.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=14444
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