SWR2 Wort zum Tag

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Bei den Neujahrsgottesdiensten ist heute in vielen Kirchen das älteste Weihnachtsevangelium zu hören. Es stammt von Paulus. Jahrzehnte bevor Matthäus und Lukas ihre Weihnachtsgeschichten mit Krippe, Ochs und Esel, den Hirten und den Weisen aus dem Morgenland verfassten, schrieb Paulus seine Weihnachtsbotschaft in wenigen Sätzen: „Als sich aber die Zeit erfüllt hatte, sandte Gott seinen Sohn, zur Welt gebracht von einer Frau, und dem Gesetz unterstellt, um die unter dem Gesetz frei zu kaufen, damit wir als Söhne und Töchter ange nommen würden. Weil ihr aber Söhne und Töchter seid, hat Gott den Geist seines Sohnes in unsere Herzen gesandt: den Geist, der da ruft: Abba, Vater! So bist du nun nicht mehr Sklave, sondern Tochter und Sohn, und so auch Erbe - durch Gott." (4,4-7)

Paulus malt keine Geschichte aus. Er erzählt nicht von der Geburt Jesu, von den Umständen, in denen sie sich ereignet hat und den daran beteiligten Personen. Für ihn geht es um das Ereignis selber: „Gott sandte seinen Sohn, zur Welt gebracht von einer Frau." In unserer Zeit und Welt ist es nach Gottes Willen ein Mensch, an dem ein für alle Mal und für alle Menschen erkennbar ist, welche Beziehung Gott und Mensch verbindet: Das ist es, was Paulus interessiert.

Jesus ist ein Zeitgenosse des Paulus, die beiden sind sich aber nicht direkt begegnet Paulus von Tarsus war in Kleinasien und Jesus von Nazareth in Palästina zuhause. Jesus ist aber weit mehr als nur der Zeitgenosse des Paulus. Er ist auch, wie Paulus, in der jüdischen Tradition groß geworden. Jesus ist demselben Gesetz unterstellt, das Paulus zu erfüllen sucht ((, treuer und radikaler als viele seiner Glaubensbrüder)). Gesetz ist im Judentum ein Begriff für Offenbarungen Gottes und Vorschriften, die in den ersten fünf Büchern der Bibel stehen. Paulus ist einer, der unablässig weiter sucht und nicht nachlässt in seinem Bemühen, Gott nahe zu kommen und ihn im Gesetz zu finden.

Aus diesem Grund lässt ihn nicht los, was ihm über Jesus von Nazareth zu Ohren kommt. Einer unter dem Gesetz wie er, aber zugleich, ganz anders als er: nämlich mit einer solchen Nähe zu Gott, dass diese Nähe dem Gesetz einen neuen Sinn gibt. So wie die Nähe zwischen einem Kind und seinem Vater das Kind erst erkennen lässt, dass die Gebote des Vaters der Freiheit des Kindes dienen. Paulus hat diese Nähe gesucht, indem er dem Gesetz gehorchte. Der Gegensatz könnte nicht größer sein: Paulus sucht Gott im Gesetz - Jesus spricht davon, dass Gott dem Herzen jedes Menschen nahe ist und ihn von allen Zwängen frei macht. Paulus war schockiert, als er von Jesus hörte und mit einem Mal seine Botschaft verstand: dass nämlich die Nähe zu Gott, die er, Paulus, suchte, ein Geschenk war, und nicht eine Frucht des Gehorsams gegenüber dem Gesetz. Von da an verkündet Paulus, dass alle Menschen frei sind gegenüber dem Gesetz, und er betont das so stark wie kein anderer der Jünger und Apostel Jesu.

So sagt Paulus, dass wir Menschen für Gott Söhne und Töchter sind und eben nicht unfrei und abhängig sind wie Sklavinnen und Knechte. Das Bewusstsein, Gott gegenüber Töchter und Söhne zu sein, ist nicht selbstverständlich. Das weiß Paulus, weil er selber lange und mit Schmerzen seinen Weg gesucht hat. Das Bewusstsein, von Gott her Töchter und Söhne zu sein, geliebte und daher freie Kinder, ist von Gott geschenkt - durch Jesus von Nazareth.

Das ist die Weihnachtsbotschaft des Paulus: Gesetze können uns leiten, soweit das unserer Freiheit dient. Aber wir müssen kein Gesetz erfüllen, damit Gott uns nahe ist. Er ist schon nahegekommen in der Geburt Jesu. Die Erfahrung der Freiheit, die Erfahrung der Nähe Gottes wünsche ich Ihnen in diesem neuen Jahr.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=14442
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