SWR2 Wort zum Tag

SWR2 Wort zum Tag

Ein Jahr geht zuende. Schöne Zeiten gehen zuende - Ferien voller neuer Eindrücke und Erfahrungen - und schwere Zeiten gehen zuende - Prüfungen, außergewöhnliche Belastungen. Alles geht zuende. Besser gesagt: alles hat seine - begrenzte - Zeit.

Wenn aber ein Jahr zuende geht, ist das alles spürbarer denn je. Wenn sich die Zeiger der Uhren unaufhaltsam auf Mitternacht zubewegen, spüren wir besonders stark, dass alles vergänglich ist. Und die überschwänglich festliche, lautstarke und teure Begrüßung der ersten Minuten des neuen Jahres ist wie ein allgemeines Aufatmen. Ein neues Jahr ist da! Das Ende ist nicht endgültig, sondern hat einem neuen Anfang Platz gemacht.

Der Anfang ist geschenkt, und das Ende ist geschenkt. Unsere Zeit ist geschenkte Zeit. Diese Nacht - „zwischen den Jahren" - ist wie eine Unterbrechung, in der uns das bewusst werden kann.

Dorothee Sölle, die 2003 verstorbene evangelische Theologin, macht uns dazu Mut in einem Gedicht, das sie „Unterbrechung" überschreibt. 

„Du sollst dich selbst
unterbrechen 

Zwischen Arbeiten und Konsumieren
soll Stille sein
und Freude, 
dem Gruß des Engels zu lauschen:
Fürchte dich nicht! 

Zwischen
Aufräumen und Vorbereiten
sollst du es in dir singen hören
das alte Lied der Sehnsucht

Maranata, komm, Gott, komm. 

Zwischen Wegschaffen und Vorplanen
sollst du dich erinnern
an den ersten Schöpfungsmorgen,
deinen und aller Anfang
als die Sonne aufging
ohne Zweck
und du nicht berechnet wurdest
in der Zeit,
die niemandem gehört
außer dem Ewigen." 

Das Vergehen der Zeiten erleben wir mit Dankbarkeit und Wehmut. Dem Kommen der Zeiten schauen wir zuversichtlich und mit Sorge entgegen. Ende und Anfang sind wie Vorboten von einem allerletzten Anfang, der im ersten geschenkten Anfang von allem vorgesehen und verheißen ist. Fürchte dich nicht! Das ist der Wunsch und Gruß von Gott her, der in den Glocken, die heute zum Jahreswechsel läuten, erklingt.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=14441
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