SWR4 Abendgedanken

SWR4 Abendgedanken

„Ich lasse mir nichts vormachen!" Nach Jahren war mir einer meiner ehemaligen Schüler wieder begegnet. In der Klasse gehörte er zu den kritisch Distanzierten, was seine Haltung zur Kirche anging. Zu jedem meiner Argumente für die Kirche, wusste er eines dagegen. „Ich lasse mir nichts vormachen!", das war sein Spruch. Umso mehr hat es mich gewundert, was er mir berichtete: „Wissen Sie, bisher habe ich Weihnachten immer als eine Mischung zwischen Rummel mit Geldmacherei und Sentimentalität mit religiöser Träumerei gehalten. Aber jetzt fange ich an, alles mit anderen Augen zu sehen."
Und er hat hinzugefügt: „Nehmen Sie mir das damals bitte nicht übel, aber ich brauche eben mehr Zeit. Jetzt sehe ich in dem Kind in der Krippe wirklich das Wunder, dass Gott Mensch geworden ist auf dieser Erde, und was das für mich bedeutet. Gott macht sich klein, um mir ganz nah zu sein."
Ich habe meinen Ohren nicht getraut. Das passt eigentlich gar nicht zu ihm. Aber ich habe gespürt, er hat wirklich etwas für sich entdeckt.
Wir haben uns dann verabschiedet. Und ich habe so vor mich hin gedacht: „Sieh mal einer an!"  Und während ich das dachte, wurde mir die Bedeutung dieses Satzes erst deutlich: Sieh mal an! Ja, Weihnachten hat auch mit Sehen zu tun. Offenbar kann man Weihnachten auch übersehen, immer wieder daran vorbei sehen. Vielleicht muss manöfter hinschauenbis man eine Entdeckung machen kann.
So wie bei dem jungen Mann. Er hat irgendwann etwas begriffen von Weihnachten und sich gefreut. Es lohnt sich, immer wieder hinzuschauen, weil es oft lange dauert, ehe man sieht, worum es eigentlich geht.
In der Weihnachtsgeschichte heißt es: „Lasst uns nun gehen nach Bethlehem und die Geschichte sehen." Ob solches Sehen heute schwerer geworden ist? Ich vermute es beinahe. Darum: Sieh mal an! Immer wieder!

https://www.kirche-im-swr.de/?m=14381
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