SWR4 Abendgedanken

SWR4 Abendgedanken

Es war einmal ein Engel, der ständig falsch gesungen hat. Und das auch noch in der Probe vor Weihnachten. „Ehre sei Gott in der Tiefe" tönte er immer wieder im Chor der himmlischen Heerscharen, statt - wie vorgeschrieben - „Ehre sei Gott in der Höhe". 
Schön, wer darauf gekommen ist. Und ich glaube, der Engel liegt richtig mit seinem Gesang: „Ehre sei Gott in der Tiefe". Er will damit besingen, dass Gott in die „Tiefe" gekommen ist: in die Welt, zu den Menschen, zu seiner Schöpfung. Der unbegreifliche Gott will offensichtlich gar nicht im Himmel sein, sondern bei uns. Er lässt es sich nicht in seinem Himmel wohl sein. Er überfordert uns nicht mit Gesetzen und Verboten. Immer wieder betonen es die Propheten Israels, dass sich Gott geradezu freut, inmitten seines Volkes bei den Menschen zu sein. So will er uns „ein Vater der Barmherzigkeit und ein Gott des Trostes" sein. (Exodus 29,45-46; 34,6) - heißt es im Alten Testament der Bibel. In Jesus schließlich geht Gott einen Weg, den ich mitgehen kann. Ein gangbarer Weg, weil er menschlich ist. Ein schöner Weg, weil er in die Freiheit führt. Das sagt mir auch: Gott ist in seinem Innersten menschlich. Menschlich im Sinne von ganz Mensch und menschlich durch Liebe. „Ehre sei Gott in der Tiefe" kommt dann an, wenn es einen Menschen tröstet, ihn aufrichtet, ihn stiller macht und geduldig, ihm neue Lebenskraft schenkt und ihn zuversichtlich macht. Denn dieser Gott, der in die Tiefe kommt, dieser Gott kennt keine hoffnungslosen Fälle. „Ehre sei Gott in der Tiefe" - in diesem scheinbar falschen Zungenschlag des Engels liegt für mich eine wunderbare Botschaft: Gott selbst fängt ganz unten an, fängt ganz klein an. Er wird sichtbar, greifbar, spürbar - in dem Kind Jesus. Und vor allen theologischen Erklärungen und religiösen Überhöhungen spricht dieses Kind Jesus ganz für sich. Es ist wie jedes Kind zart und zerbrechlich. Es braucht Schutz, Geborgenheit und Zuwendung. Diese Sehnsucht nach Geborgenheit und Zuwendung rührt wohl jeden Menschen immer wieder an. - Ja, der Engel hat schon recht mit seinem „Ehre sei Gott in der Tiefe".

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