SWR2 Wort zum Tag

SWR2 Wort zum Tag

Einmal im Jahr gehe ich in Exerzitien. Zehn Tage Schweigen, nur ein Gespräch am Tag mit einem Geistlichen. Kein Telefon, kein Internet, keine Zeitung, keine Bücher. Nur die Bibel, aber auch die nicht zum Schmökern. Einen Abschnitt in der Bibel darf ich pro Tag lesen. Mehr nicht. Ich steige aus der täglichen Routine und tanke geistlich auf.
Es ist merkwürdig - ich weiß genau, dass ich ohne diese zehn Tage im Jahr nicht leben mag, dass ich aus der Kraft dieser Tage schöpfe für meine Arbeit als Pfarrerin. Und trotzdem habe ich jedes Mal davor auch Angst. Ich verabschiede mich von meinen Lieblingsmenschen mit einer gewissen Wehmut, fast als wäre es ein Abschied für immer. Sie werden mir fehlen, meine Lieben. In meinen Schweigetagen werde ich mich verändern, das weiß ich, jedes Jahr ist das so. Dinge klären sich, Fragen werden beantwortet, nur wie, das weiß ich vorher nicht. Und ich kehre verändert zurück. Vielleicht bin ich so wehmütig beim Abschied, weil mir klar ist, dass es gar nicht so selbstverständlich ist, dass sie mich noch lieben werden, wenn ich zurückkomme. Liebe ist nicht selbstverständlich, das wird mir vor meinen Exerzitien ganz besonders deutlich.
„Warum tust Du Dir das an?" fragt mich mein Sohn. Er schaut ein bisschen mitleidig. Das alles klingt nicht nach Urlaub in seinen Ohren, vor allem, weil der Fernseher fehlt. Sie ist schon ein bisschen verrückt, seine Mutter, 10 Tage offline. Ich finde es ist alles andere als verrückt, sondern - jedenfalls für mich - ein Weg, gerade nicht verrückt zu werden in dem Vielerlei, das meinen beruflichen und privaten Alltag bestimmt. Urlaub ist es allerdings tatsächlich nicht.
Möglicherweise haben nicht viele Menschen die Gelegenheit, sich 10 Tage aus ihrem Alltag auszuklinken. Doch gut täte es sicher den meisten. Eine Unterbrechung des Gewohnten, raus aus dem Hamsterrad. Sicher ist aber auch schon ein einzelner Schweigetag ein Gewinn. Besser sind mehrere, denn es braucht schon seine Zeit, bis der Mensch innerlich ruhig wird. Der Lärm und die Unruhe hallen nämlich lange innerlich nach, wie ein Echo der täglichen Geschäftigkeit.
Doch auch schon ein mehrstündiger schweigender Gang durch den Wald kann der Seele Ruhe schenken und Gott die Gelegenheit geben, innerlich zu Wort zu kommen. Mit einer Idee, einem Gedanken, einer plötzlichen inneren Klarheit über eine Frage, die mich bewegt. Schweigend und gehen kann sich vieles klären, z.B., was man eigentlich will. Das ist nämlich gar nicht so einfach zu erkennen im Wust der Alltags-Ansprüche.
Zuletzt können einige Stunden Auszeit, ein Schweige-Tag oder mehrere Exerzitien-Tage innerlich fröhlich stimmen und dankbar. Für mein Leben, meine Lieben, meinen Gott.

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