SWR2 Wort zum Tag

SWR2 Wort zum Tag

Eine Urkunde für erfolgreiches Scheitern. Die gibt es. Jedenfalls wurde sie einmal in Österreich verliehen, an eine junge Frau, die gerade aus der Nationalmannschaft geflogen war. Der Bürgermeister ihres Heimatortes hat sie ihr im Rahmen einer Feierstunde überreicht: Eine Urkunde für ihr erfolgreiches Ausscheiden aus der Nationalmannschaft.
Eine Urkunde für erfolgreiches Scheitern. Welch geniale Idee des Bürgermeisters! In einer Welt, in der nur Erfolge gemessen und beurkundet werden, würdigt er das erfolgreiche Scheitern. Der Mann hat Recht! Es gibt erfolgreiches Scheitern. Mit erhobenem Kopf den Kampfplatz verlassen, auch wenn man die Partie verloren hat. Ich habe mir gleich eine Wand frei gemacht, um meine persönlichen Scheiter-Urkunden aufzuhängen. Und ich verleihe hiermit weitere an alle, die sich angesprochen fühlen: Eine Urkunde an die, die am Ende des Schuljahrs hängen geblieben sind und sich trotzdem die Freude am Lernen nicht verderben ließen, an die, die den heißbegehrten Job nicht bekommen haben und der Konkurrentin anschließend mit einem Lächeln zum Erfolg gratulieren konnten, eine Urkunde für erfolgreiches Scheitern an die, die durch eine Fehlentscheidung des Schiris eine Niederlage kassiert und trotzdem nicht ausgerastet sind, an die, denen es gelungen ist, nach der Scheidung dem Expartner noch alles Gute zu wünschen. Das hat Stil und Würde!
Auf vielen Urkunden findet sich ja ein Sinnspruch, auf meine Urkunden für erfolgreiches Scheitern gehört auch einer. Mir gefällt eine Zeile aus dem 1. Korintherbrief des Apostels Paulus: Was schwach ist vor der Welt, das hat Gott erwählt. Ja, vielleicht steckt tatsächlich in jedem Scheitern auch ein Stück Erwählung. Eine neue Wahl-Möglichkeit. Es könnten sich gerade durch das, was ich nicht erreicht habe, neue, andere Lebensmöglichkeiten eröffnen. Die ich nicht sehe, wenn ich den Kopf bis zum Boden hängen lasse, sehr wohl aber wahrnehme, wenn ich mit erhobenem Haupt mein Scheitern erfolgreich annehme. Ganz abgesehen davon, dass ich in meinem Leben gelernt habe, dass nicht alles, was ich unbedingt haben und erreichen wollte, mir auch wirklich gut getan hat. Oft genug wäre es besser für mich gewesen, ich hätte verloren, was ich gewonnen habe. Kann ja sein, dass auch die junge Frau aus der österreichischen Nationalmannschaft jetzt froh ist, dass sie endlich mehr Zeit für ihr Privatleben hat und nicht mehr ständig trainieren muss, dass sie jetzt ohne schlechtes Gewissen Knödel und Apfelstrudel essen und abends auch mal ein Glas Wein genießen darf.
Bei dem Empfang in Österreich haben sie jedenfalls angestoßen auf ihre Urkunde für Erfolgreiches Scheitern. Ich schließe mich gerne an.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=14266
weiterlesen...