SWR2 Wort zum Tag

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Wunderheilungen sind immer eine Schlagzeile wert, egal ob sie dem verstorbenen Papst zugeschrieben werden oder irgendwelchen lebenden Kapazitäten.
Ich tue mich schwer damit. Zwar will ich nicht ausschließen, dass Dinge passieren, die ich mir nicht erklären kann. Aber warum sollte Gott es eigentlich nötig haben, ständig seine eigenen Naturgesetze außer Kraft zu setzen? Er hat doch sicher andere Wege, um an uns Menschen heran zu kommen, meistens ganz unspektakuläre. Zum Beispiel die Heilung des Taubstummen in der Bibel, obwohl da in der ganzen Geschichte nie von Heilung geredet wird. Jesus ist unterwegs und Menschen bringen einen Taubstummen zu ihm, damit er ihn berührt. Und Jesus tut genau das, aber nicht vor allen Leuten. Er nimmt den Mann beiseite, legt ihm die Finger in die Ohren und berührt seine Zunge mit Speichel. Er blickt zum Himmel, seufzt und sagt zu dem Taubstummen: „Öffne dich!“ Dessen Ohren öffnen sich, seine Zunge wird befreit, er kann reden. Und Jesus verbietet den Anwesenden, davon zu erzählen.
Er kennt die Menschen, sie würden wahrscheinlich nur von irgendwelchen Wunderereignissen berichten. Das, was eigentlich geschehen ist, würde vergessen. Jesus nimmt einen Menschen beiseite und will sich ganz diesem Menschen widmen, abseits der Menge. Er berührt ihn behutsam, aber doch sehr intim. Und der Taubstumme lässt das zu und öffnet sich.
Ich habe auch meine Taubheiten. Die lassen sich mit Sätzen beschreiben, wie: „Ich kann das nicht mehr hören. Davon will ich nichts mehr hören!“ Oder aber auch: „Ich verstehe dich nicht.“ Ich bin stumm, wenn „wir einander nichts mehr zu sagen haben“, „mir die Worte fehlen“ oder ich das Gefühl habe: „Ich sage etwas und das kommt ja doch nicht an!“ Und wie sähe dann meine Begegnung mit Jesus aus? Sie findet auch etwas abseits vom Alltag statt, in einem ruhigen Augenblick. Manchmal kann ich in solchen Momenten Jesu Nähe spüren. Und wenn ich diese Nähe zulasse, mich von ihm berühren lasse, dann heißt es: „Öffne dich!“ Bin ich dazu bereit und öffne ich mich für ihn, dann ist nicht schon alles gut. Aber ich schöpfe doch Kraft, wieder hinzuhören, besser zu verstehen. Und vielleicht höre ich sogar den ein oder anderen Zwischenton. Ich versuche, das Gespräch wieder aufzunehmen, die richtigen Worte zu finden. Lasse ich mich von Jesus berühren, dann kann ich nicht schweigen, wenn Unrecht geschieht, auch wenn meine Worte vielleicht nicht gehört werden. Wenn das passiert, dass ich so höre und rede, dann ist das kein Wunder, aber es ist wunderbar. Und dass so etwas passiert, das kann ich tatsächlich glauben und erleben.
https://www.kirche-im-swr.de/?m=1423
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