SWR2 Wort zum Tag

SWR2 Wort zum Tag

Ich bin im Herbst schon oft an der Nordsee gewesen, erinnere mich an ausgedehnte einsame Spaziergänge am Strand. Es waren Zeiten des Innehaltens, Zeiten, in denen Neues wachsen, Schmerzen heilen konnten.
Nach Orten der Trauer, wie sie der Friedhof, der Kirchenraum oder der Rückzug in die eigenen Räume sein können, kann die unendliche Weite des Meeres, seine Lebendigkeit und Schönheit gefangen nehmen, mich wieder für das Außen öffnen. Hier kann ich mich als Teil von Gottes Schöpfung erfahren, mich aufgehoben wissen.
Ein Vers aus Psalm 31 ist mir dabei in den Sinn gekommen:
Du stellst meine Füße auf weiten Raum.
Ein wunderbares Wort! Es ist ein tröstliches Wort, weil es neben der Weite auch noch etwas anderes beinhaltet: Gott ist ein Gegenüber, ein „Du". Er hat mich in die Weite des Raums gestellt. Er geht mit mir und kann aus der Dunkelheit des Lebens auch wieder Hoffnung und Zuversicht schenken. Er stellt nicht nur meine Füße auf weiten Raum, er begleitet mich und gibt Trost und Halt. In aller Brüchigkeit des Lebens weiß ich mich gehalten, weil Gott mir nahe ist. Auch in den Wüsten meines Lebens ist er da.
Du stellst meine Füße auf weiten Raum.
Gott traut mir etwas zu. Er ermutigt mich, den Raum, auf den er mich gestellt hat, mit meiner Kraft und meinen Möglichkeiten zu begehen. Diesen weiten Raum, von dem der Psalmdichter spricht, kann ich mitten im Alltag entdecken, wenn ich hinausgehe, wenn ich offen bin für Neues und Ungewohntes.
Aber es wäre unehrlich, diesen Weg in den weiten Raum als Wanderung zu beschreiben, bei dem nur die Sonne scheint. Wer die Weite des Raumes sucht, kann auch an Grenzen stoßen. Weite bedeutet nicht nur Freiheit. Dieser Weg kann einsam machen, birgt auch Ungewissheit und Orientierungslosigkeit, das Risiko, aus der Bahn geworfen zu werden. Weiter Raum meint deshalb immer beides: Verzweiflung und Trost, Dunkelheit und Licht.
Gut ist dann, wenn mich Vertrautes trägt, Menschen, die mich begleiten, ein Gebet, das mir wieder Kraft gibt, ein Lied, das tröstlich ist, eine Aufgabe, die mich fordert.
Darum heißt Weite auch Hoffnung. Hoffnung, die mein Leben verändern kann.
Und so gehe ich in die Adventszeit, die Licht bringt, damit Menschen im weiten Raum ihre Schritte mutig setzen können.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=14226
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