SWR2 Wort zum Tag

SWR2 Wort zum Tag

Alles, was das Alleinsein aufhebt, kann einen trösten, sagt Anna Seghers in ihrem großen Roman „Das siebte Kreuz".
Was hebt das Allleinsein auf? Was tröstet, wenn ich untröstlich bin?
Es können Menschen sein, die nicht alleinlassen, Musik, die mich auffängt, es können Orte sein, die guttun.
Für mich ist der Mainzer Dom ein solcher Ort. Nach dem Tod meines Mannes war ich oft da. Wenn ich in diesen Kirchenraum eintrete, dann umhüllt mich wie ein Mantel die Stille und das Gefühl, geborgen und behütet zu sein.
Der Dom ist ein Ort für die Seele. Seine in Stein gemeißelte Geschichte gibt Zeugnis alten Glaubens. Über die Jahrhunderte haben diese Mauern Freude, Trauer und Leid gesehen. Es ist ein Ort, an dem viele Menschen die Nähe Gottes spüren, Gottesdienst feiern, beten und singen; wo Menschen ihre Wünsche, ihre Träume und ihre Hoffnungen vor sich hinflüstern oder laut aussprechen, vielleicht auch um ihren Glauben ringen. Betrete ich den Dom, dann werde ich hineingenommen in seine Geschichte, in das, was unzerstörbar und unverlierbar ist und bleibt: Gedächtnis.
Es ist besonders die Christusfigur des Künstlers Karlheinz Oswald, die mich immer wieder in ihren Bann zieht. Dieser Christus fasziniert mich. Seine Arme sind ausgebreitet und nach oben gerichtet. Der aufschwebende Christus - fast tänzerisch befreit - ist über das Karfreitagsgeschehen gestellt. Er hängt nicht am Kreuz, sondern hat das Kreuz überwunden. Es ist der auferstandene Christus, der mich als Betrachtende hineinnimmt in diesen Prozess zwischen Karfreitag und Ostern. Er hat für mich etwas Tröstendes. Schmerz und Trauer sind nicht verschwunden. Aber die trotzig aufgeworfenen Lippen dieser Christusfigur zeigen das Dennoch, sagen mir: Auch du lebst von der Hoffnung, dass mit dem Tode nicht alles aus ist.
Alles, was das Alleinsein aufhebt, kann einen trösten.
Dieser Christus hält Zwiesprache mit mir und lässt mich innewerden, dass trotz der Dunkelheit des Todes, des Verlustes etwas hell werden kann, weil im Kreuz bereits Auferstehung aufscheint.
Ich habe oft unter dieser Christusfigur gestanden und mich hineinnehmen lassen in die tröstliche Gewissheit, dass ich mit anderen im Schmerz nicht allein bin, dass ihn einer geteilt hat: Christus. Seine Auferstehung ist das umfassendste Symbol des Lebens gegen den Tod. Sie begründet Hoffnung, aus der und von der ich leben kann. Das tröstet.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=14225
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