SWR2 Wort zum Tag

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Friedhöfe sind Orte der Stille, des Friedens.
Gehe ich über einen Friedhof, bin ich den Toten besonders nahe. Ich erinnere mich an Menschen, die mich begleitet haben, die zu meinem Leben gehören, ja auch den Reichtum meines Lebens ausmachen. Sie sind nicht mehr hier, aber in der Erinnerung leben sie mit und bei mir. Ihr Tod lässt auch den eigenen Tod bedenken.
Sehen wir das Leben vom Tod her, werden wir freier, vieles wird leichter, manches intensiver,  sagt Peter Noll in seinen „Diktaten über Sterben und Tod".
Aber das Leben vom Tod her sehen, bedeutet vom Leben zu reden. Denn je mehr ich das Leben liebe, desto weniger bedrängen mich die Schrecken des Todes. Je weniger ich das Leben liebe, umso größer ist die Macht des Todes. Die Erfahrung der Kostbarkeit des Lebens, der gelebten Intensität, seiner Einmaligkeit weist den Tod in seine Schranken und nimmt ihm etwas von seiner Macht. Das gibt Geborgenheit und kann die Angst nehmen.
Im Alten Testament wird diese Geborgenheit in unübertrefflicher Weise in einigen Psalmen ausgesprochen. Die Eindringlichkeit ihrer Sprache und ihrer  Bilder ist so groß, dass einige dieser Lieder, Tausende von Jahren nachdem sie gedichtet worden sind, auch Menschen heute Trost und Geborgenheit schenken können. Diese Geborgenheit ohne Angst leben zu können und die Kostbarkeit des Lebens - in all seiner Begrenztheit - zu erfahren, machen die Verse aus dem 139. Psalm deutlich:

Wohin soll ich gehen vor deinem Geist,
und wohin soll ich fliehen vor deinem Angesicht?
Führe ich gen Himmel, so bist du da;
bettete ich mich bei den Toten, siehe, so bist du auch da.
Nähme ich Flügel der Morgenröte
und bliebe am äußersten Meer,
so würde auch dort deine Hand mich führen
und deine Rechte mich halten...

Für mich ist dieser Psalm einer der großen eindrücklichen Texte der Bibel.
Ich werde bewahrt, im Leben und im Sterben behütet sein. Der Psalm vermittelt eine große Hoffnung: Gott ist der beschützende und bewahrende Gott, der begleitet, die Lebenden und die Toten. Ich bin in Tod und Leben, im Leben und Sterben nicht verloren. Das gibt Kraft im Leben, die trägt und Halt gibt.

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