SWR2 Wort zum Tag

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„Alle Kunst entsteht aus Angst vor dem Tod", behauptete Hermann Hesse. Und für Friedrich Dürrenmatt ist die Beschäftigung mit dem Tode sogar die „Wurzel der Kultur". Die Worte solch berühmter Autoren zeigen mir, wie wichtig der Blick auf das Ende des Lebens nicht nur für mich als Einzelnen ist, sondern auch für das Verständnis unserer Gesellschaft, von Kunst und Kultur unserer Breiten aber auch anderer Kulturen auf der Welt. In der Themenwoche „Leben mit dem Tod" haben die Sender und Programme der ARD versucht, dieser Bedeutung gerecht zu werden, die Hörer, Zuschauer und Leser mit alten und neuen Sichtweisen zu konfrontieren.
Im Alltag habe ich selten Raum dafür, an den Tod zu denken und an die Frage, was danach kommt. Ich bin viel zu beschäftigt mit meinen täglichen Aufgaben und irgendwie auch dankbar dafür, den Tod an den Rand meines Lebens drängen zu können. Dabei könnte es sein, dass ich ihm schon heute oder morgen ins Auge blicken muss. Vielleicht auch erst in 40,50 Jahren, kommen wird mein eigener Tod und der von uns allen jedenfalls gewiss.
Wenn ich dann einmal innehalte und mich diesen Gedanken öffne, dann merke ich, dass nicht nur Verlust und Angst die Stimmung verdunkeln, sondern dass da auch viel eindrucksvolles, tröstendes und heilsames ist, wie beim Besuch eines schattigen, ruhigen Friedhofs im Sommer.
So bringt mir die Beschäftigung mit dem Tod etwas sehr wertvolles, nämlich die Chance, mit einer Dimension des Lebens in Berührung zu kommen, die in die Tiefe weist. Einer Dimension, die über das Sichtbare, Machbare, Greifbare hinaus deutet. So komme ich mit dem Ewigen in Berührung, weil ich das Endliche betrachte.
Und noch ein Autor kommt mir in den Sinn, dessen Zugang zum Tod mich fasziniert hat. Der Engländer John R.R. Tolkien, der in seiner Phantasiewelt die Menschen als diejenigen darstellt, die vom höchsten Wesen mit einem „neuen Geschenk" ausgestattet werden. Nämlich damit, nicht an die Welt gebunden zu sein, sondern sie wieder verlassen zu dürfen, wenn ihre Zeit kommt. Im Unterschied zu anderen Geschöpfen in Tolkiens Welt müssen sie nicht immer mehr und mehr Weisheit anhäufen und den Schmerz von ganzen Zeitaltern in sich tragen. Nein, sie dürfen alt werden und müde sterben - sich zu ihren Vätern legen, wenn ihre Zeit gekommen ist. Ein tröstender Gedanke und eine heilsame Umkehr der gängigen Denkmuster: Der Tod als Geschenk.

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