SWR2 Wort zum Tag

SWR2 Wort zum Tag

Gott kann mir nahe kommen wie jemand, der mich mit meinem Vornamen anspricht.
Beziehungen leben von Begegnung. Auch nach Jahren der Unterbrechung. 25 Jahre hatte ich ihn nicht mehr gesehen. Ich habe an anderen Orten gelebt. Auch er ist mit seinem Geschäft umgezogen. Da entdecke ich ihn hinter dem Tresen seines kleinen Ladens. Er schaut mich fragend an. Da sage ich nur einfach seinen Namen. Seinen Vornamen. Ich nehme wahr, wie es ganz kurz in seinem Gehirn arbeitet. Und dann stürmt er auf mich zu. Über sein Gesicht gleitet ein Strahlen. „Wo kommst Du denn her?", fragt er mich voller Freude. Der Name, nur der Name, einfach ausgesprochen, hat ihm die Augen geöffnet.
Diese Erfahrung lässt mich den Rest des Tages nicht mehr los. Ich fühlte mich daran erinnert, wie Maria Magdalena Jesus allein daran erkennt, dass der sie mit ihrem Namen anspricht: Maria. Und dann kam mir natürlich dieser bekannte, wunderschöne Satz aus dem Jesajabuch in den Sinn: „Ich habe dich bei deinem Namen gerufen. Du bist mein!"
Die vertraute Stimme, die mich mit meinem Namen anspricht. Meist nehme ich das Besondere dieser Situation gar nicht mehr wahr. In der Regel erkenne ich meine Mitmenschen schon mit den Augen, bevor sie mich ansprechen.
Trotzdem ist mein Vorname etwas Besonderes. Er macht mich unterscheidbar. Er drückt Nähe und Beziehung aus. Und wenn mir jemand das Du anbietet, heißt das: Auch ich darf diesen Menschen künftig mit seinem Vornamen ansprechen. Der Vorname und die Stimme, die ihn ausspricht - sie bilden eine Verbindung, die auf eine einmalige Beziehung hinweisen. Ich habe dich bei deinem Namen gerufen! Du bist mein.
Die Bibel bringt mit diesem Bild zum Ausdruck, wie eng sie die  Beziehung zwischen Gott und Mensch sieht. Eine Beziehung, die nicht geprägt ist von Höflichkeit und Distanz. Eine Beziehung, die das Innere eines Menschen anrührt. Die mich herausfordert. Die meine Beziehungen zu der Welt und den Menschen um mich herum beeinflusst.
Wenn ich darüber nachdenke, wer mich so intensiv anspricht, dann fallen mir vor allem die Menschen ein, die mir wirklich nahestehen. Denen etwas an mir liegt. Die mich lieben. Meine Frau. Meine Freude. Wenn ich Gott verstehen kann als den, der mich mit Namen anspricht, dann wäre Gott der Name für eine Wirklichkeit, bei der es vor allem anderen um Beziehung geht. In intensivster Form. Um eine Beziehung, in der ich gemeint bin. Als der, der ich wirklich bin.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=14168
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