SWR2 Wort zum Tag

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„Gott" kommt in Büchern moderner Autoren nicht mehr vor. Bis vor einiger Zeit hatte ich dieses Gefühl. Vielleicht auch die Furcht, dass dabei nicht nur das Wort „Gott" versickert. Sondern dass auch der, für den das Wort steht, verschwinden könnte, wie hinter einem undurchdringlichen Vorhang, an den sich keiner mehr wagt.
Aber seit einiger Zeit merke ich, mein Gefühl hat getrogen. Ich stoße auf Bücher moderner Autorinnen und Autoren, in denen Gott zur Sprache und also vorkommt. Gewissermaßen her-vorkommt.
Esther Magnis z. B. Anfang dreißig ist sie: Sie wagt sich an den Vorhang. Und schreibt - und ich glaube, damit trifft sie das Gottesgefühl von vielen: „Ich glaube, wir vermissen Gott.Ich weiß es gibt gute Gründe, nicht zu glauben. Aber manchmal denke ich, die meisten Menschen sind einfach nur traurig, dass er nicht da ist."
Oder Beatrice von Weizsäcker, Journalistin und Autorin: Sie wagt es auch, am Vorhang aus Gott-Verschwiegenheit zu ziehen. Und sie findet Gott, indem sie sucht, findet, glaubt und zweifelt. Sie schreibt:
„Ich bin froh, in einer Ära zu leben, in der es.erlaubt ist, „seinen" Gott zu suchen. Gott ist nicht tot. Aber der Zweifel an ihm auch nicht."
Beide Frauen, Esther Magnis und Beatrice von Weizsäcker, haben vor kurzem ihre Brüder verloren. Beide jeweils durch Krebs. Diese Krankheit, das Leid und der Verlust, den sie gebracht haben: Für beide Frauen waren sie der Grund, an Gott zu zweifeln, an einem glatten, harmlosen Gott. Aber was die beiden erlebt haben, war noch viel mehr Grund, intensiver zu suchen, alte Gottesbilder aufzubrechen. Zu überprüfen. Erst recht zu suchen. Den Fragen, die ihnen das Leben vor die Füße geworfen hat, nicht auszuweichen. Sie nicht stumm zu übergehen, sondern neu nach Sprache zu suchen, nach dem Wort Gott und was es denn sagt.
Mir kommen die beiden Frauen, wie sie mir in ihren Büchern begegnen, vor wie Schwestern jenes Vaters, von dem in der Bibel erzählt wird:
Sein Sohn hat seit Jahren schwere Anfälle. Jetzt hat der Vater gehört, da soll es einen geben, der könne vielleicht heilen. Er bringt seinen Jungen zu diesem Arzt Jesus. Und es bricht aus ihm heraus. „Ich glaube, dass Du heilen kannst, hilf meinem Unglauben."(Mk. 9,17ff)
So ein gläubiger Zweifel oder zweifelnder Glaube, für mich ist er heilig.
Weil in ihm Gott näher ist, als man ihn fühlt. Weil er einen dazu bringt, am Vorhang zu ziehen, hinter dem Gott sein könnte. An dem Vorhang aus leeren Worten oder aus Schweigen.

Esther Maria Magnis, Gott braucht dich nicht. Reinbek 2012
Beatrice von Weizsäcker, Ist da jemand? München 2012

https://www.kirche-im-swr.de/?m=14151
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