SWR3 Gedanken

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Jemandem zu vertrauen ist ganz schön gefährlich. Das wird mir klar, als kleine Babyvögel in meinem Garten ihre ersten Flugversuche unternehmen. Ich sitze währenddessen ganz gemütlich im Gartenstuhl und versuche sie nicht aufzuschrecken. Nach einiger Zeit haben sie sich an meine Anwesenheit gewöhnt und ignorieren mich fast. Aber plötzlich kommt der Nachbarskater. Mit einem Satz springt er auf die Vögelchen zu und die fliegen verschreckt in alle Richtungen davon. Sie haben Glück, dass der alte Kater so langsam ist. Hätten die Vögel dem Kater auch vertraut, dann wären sie jetzt tot.
Bei diesem Schauspiel wird mir auf einmal erschreckend klar, warum es so schwierig ist, jemandem zu vertrauen.  Es steigt einfach erheblich die Chance, dass man dabei verletzt wird. Vielleicht körperlich, vielleicht aber auch seelisch. Ich glaube, jemandem sein Vertrauen zu schenken ist eines der größten und wichtigsten Geschenke, die man machen kann. Wenn ich jemandem mein Vertrauen schenke, dann sage ich ihm eigentlich: Ich bin überzeugt davon, dass du mich nicht verletzen wirst. Weder körperlich noch seelisch. Deshalb ist ja auch ein Vertrauensmissbrauch so schmerzhaft.
Wenn ich einer Freundin meine Sorgen und Geheimnisse anvertraue, gehe ich davon aus, dass sie sorgsam mit diesem Wissen umgeht, dass sie mich nicht verletzen will. Wenn sie dann aber allen möglichen Menschen meine Geheimnisse weitererzählt, dann trifft mich das sehr. Nicht nur, weil andere dann über mich lachen und lästern können, sondern weil das mein Vertrauen in meine Freundin zerstört. Weil sie mir weh tut mit ihrem Handeln. Ich brauche Beziehungen, die von Vertrauen geprägt sind, um seelisch gesund zu bleiben. Weil ich dann spüre, dass ich jemandem so wichtig bin, dass er mein Vertrauen schätzt und ernst nimmt. Aber ich brauche auch meine Vorsicht, um zu überleben, genau wie die kleinen Vögelchen.
Ich glaube ich muss einfach unterscheiden lernen: Wer ist der liebevolle Beobachter und wer ist der gefräßige Kater. Denn ich kann ja nicht einfach aus Angst verletzt zu werden einfach allen Menschen misstrauen. Wenn ich allen Menschen misstrauen würde, dann wäre das Leben vielleicht einfacher - aber dafür um einiges kälter und unangenehmer.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=14116
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