Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

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 "Die Kirche ist stehen geblieben. Warum bewegt sie sich nicht?" (C.Martini)

Das wäre die Topmeldung in den Abendnachrichten: Papst Benedikt XVI. ordnet eine radikale Reform im Vatikan an. In Zukunft sollen einfache Gläubige in die Leitungsgremien der Kirche aufgenommen werden. Bei ihnen handelt es sich um Frauen und Männer, die sich bisher um arme Menschen kümmerten, mit Jugendlichen lebten und die experimentierfreudig sind.
Genau diesen Vorschlag hat Kardinal Carlo Martini aus Mailand gemacht. Und das in seinem letzten Interview, nur wenige Wochen vor seinem Tod Ende August. Der Kardinal träumte bis zuletzt von einer Kirche, die - wie er sagte - die Glut wieder freilegt, die unter einer dicken Ascheschicht verborgen liegt. Martini wörtlich:
„Die Kirche ist stehen geblieben. Warum bewegt sie sich nicht? Haben wir Angst? Angst statt Mut? Wo doch der Glaube das Fundament der Kirche ist: der Glaube, das Vertrauen, der Mut." Was die mutige Entscheidung eines Papstes auslösen kann, zeigt die Eröffnung des II. Vatikanischen Konzils vor 50 Jahren durch Johannes XXIII. Damals herrschte Aufbruchstimmung unter den Katholiken. Siehe da: die Kirche bewegt sich.
Kardinal Martinis Vorschlag ist auf den ersten Blick weniger aufsehenerregend. Aber er hat es in sich. Zwölf lebenserfahrene Christen von der Basis, die über den Kurs der Kirche mitentscheiden können. Das würde neue Perspektiven eröffnen. Martini zeigt das beispielhaft auf: eine erneuerte Sexualmoral, mit der die Kirche wieder ernst genommen würde. Ein vertieftes Verständnis der Bibel, damit das Wort Gottes die Richtung vorgibt und nicht die Paragraphen des Kirchenrechts. Die Versöhnung mit den wiederverheirateten Geschiedenen, damit die Kirche glaubwürdig die Barmherzigkeit Gottes verkünden kann.
Carlo Martinis Interview vom Sommer ist gleichsam das Vermächtnis des Mailänder Kardinals. Bis heute hat sich der Vatikan dazu nicht geäußert.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=14102
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