SWR3 Gedanken

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Anschläge gibt es jeden Tag. Von den tragischen, den gewalttätigen erfährt man in den Nachrichten. Von den friedlichen, nämlich den Anschlägen der Hausverwaltung oder der Schulleiter am Schwarzen Brett hört man nie. Es sei denn sie betreffen einen direkt.
Früher, als es noch kein Halloween gab, und es verkleideten Kinder gab, die an den Türen der Nachbarn um Süßigkeiten bettelten, früher also, war der 31. Oktober ein sehr deutscher und evangelischer Feiertag: Der Reformationstag. In manchen Bundesländern ist das heute sogar noch ein richtig freier Feiertag.
Und wie eine kleine Geistergeschichte wurde die Geschichte von dem kleinen Mönch Martin Luther erzählt, der am Abend des 31. Oktober die Christenheit aufgeschreckt hat, indem er 95 Thesen an das Tor der Schlosskirche zu Wittenberg genagelt hat. Es war ein Anschlag, im wahrsten Sinne des Wortes. Ein friedlicher wohlgemerkt. Und es war eigentlich keine große Sache, aber sie wurde groß. Weil andere diesen Anschlag von Wittenberg weiter verbreitet haben. Die neu erfundene Druckerpresse machte es möglich.
Für evangelische Christen ist das immer noch ein mutiger Anschlag gewesen und immer noch einer, der völlig unblutig war. Hammer, Nagel und das Thesenpapier genügten.
Und genau das finde ich gut an diesem Anschlag: Es war einer, der die Gehirne und Herzen erobern wollte. Er war auf Streit aus, aber nicht um des Streites, sondern um der Wahrheit willen. Im Grunde wollte Luther mit diesem Anschlag nur eines sagen: „Wir müssen reden! Es muss etwas passieren!" Das finde ich doch viel erfrischender, als das alternativlose: "Daran können wir doch sowieso nichts ändern..." Was gesagt werden muss sollte auch gesagt werden.
Ich gebe zu: In der Folge der Reformation gab es auch Gewalt. Und das nicht zu knapp. Aber da spielten noch viele andere Dinge eine Rolle.
Wie solch ein Anschlag Luthers heute aussehen würde? Vielleicht viel spektakulärer, vielleicht aber auch nur eine Art Blog im Internet. Aber ich hoffe, auf jeden Fall friedlich, denn das Anliegen, das Luther mit dem Anschlag hatte ist zeitlos: Wir müssen reden.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=14067
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