Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

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Doppelpunkt, Strich, rechte Klammer. Nebeneinandergeschrieben ergibt sich aus diesen drei Zeichen: Ein lachendes Gesicht. Ein sogenanntes Emoticon. Weil es eine bestimmte Emotion, ein Gefühl ausdrückt. Das lachende Gesicht war das erste Emoticon und feierte vor kurzem dreißigsten Geburtstag. Seitdem hat es viele Geschwister bekommen. Semikolon, Strich, rechte Klammer, das sieht aus wie ein zwinkerndes Gesicht. Die Zunge rausstrecken geht mit Doppelpunkt, Strich und einem großen P. Sogar Gesichter mit Brillen gibt's: Einfach ein großes B und dann Strich und Klammer.
Eigentlich ein Wunder, dass erst vor 30 Jahren jemand auf die Idee gekommen ist, mit Buchstaben und Zeichen ein Gesicht zu malen. Kinder machen das im Grunde genommen schon immer. Wenn sie anfangen, Menschen zu malen, dann beschränken sie sich im Gesicht auch auf das Wesentliche: Mund, Nase, Augen. Punkt, Punkt, Komma, Strich, fertig ist das Mondgesicht.
Mehr noch: Simple Zeichnungen, aufs einfachste reduziert, gibt es schon seit 20.000 Jahren. Da wurden schon Strichzeichnungen auf Höhlenwände gekritzelt. Sie zeigen Menschen und Tiere, Jagdszenen und vielleicht sogar eine Art früher Film.
Ich finde es faszinierend, was sich Menschen einfallen lassen zu einem einzigen Zweck: Mit anderen zu kommunizieren, sich mitzuteilen, etwas auszudrücken. Dem geht allerdings immer eine Fähigkeit voraus: Die Fähigkeit, das Wesentliche überhaupt erst zu erkennen. Denn jedes Gesicht ist ja einmalig, unverwechselbar, besonders. Und trägt trotzdem Spuren des Allgemeinen in sich. Nur so kann das Gesicht als das Konkreteste und Individuellste des Menschen auf ein paar wenige Zeichen, reduziert werden. Das ist die eigentliche Kunst, die auch die Emoticons transportieren. Dass Menschen sich und andere als Menschen erkennen können. Als Ebenbilder, die alle miteinander verbunden sind.

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