SWR2 Wort zum Tag

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Heute ist endlich klar, wer der neue Präsident der USA sein wird. Die Wahl ist entschieden.  Auch wenn dabei viel Geld im Spiel ist, auch wenn das amerikanische Wahlrecht mich nicht so recht überzeugt, auch wenn ich weiß, dass viele Wahlversprechen schon morgen vergessen sein werden: Ich finde die Demokratie eine der besten Erfindungen des Menschen. Auch und gerade aus christlicher Sicht.
Für manche mag das nicht zusammenpassen. Sie haben den Verdacht, dass sich der christliche Glaube nicht mit Demokratie verträgt. Über Gott lässt sich schließlich kaum abstimmen. Das ist richtig, aber was nur wenige wissen: Wahlen gehören von Anfang an zum Christentum dazu. Das fängt schon nach dem Tod Jesu an. Die Bibel erzählt, dass Judas, der Jesus verraten hatte, sich selbst tötet. Judas aber war einer der Apostel, der engsten Freunde Jesu. Und jetzt wählen die verbliebenden elf Apostel einen Nachfolger aus. Matthias wird es.
Später pflegen vor allem die Klöster die Tradition des Wählens. Der Abt, also der Vorsteher einer Klostergemeinschaft, wird stets gewählt. Im Idealfall ohne Wahlkampf, ohne Versprechungen, ohne Geschenke. Und schließlich entscheidet sich auch in einer demokratischen Wahl nach dem Mehrheitsprinzip, wer der nächste Papst wird. Der weiße Rauch über dem Petrusdom signalisiert bei jeder Papstwahl das Ende dieses demokratischen Verfahrens.
In all diesen Wahlen herrscht ein wichtiges Prinzip: Eine Stimme pro Kopf. Egal, wie mächtig jemand ist, wie viel Geld oder Einfluss er besitzt, jeder kann nur eine Stimme abgeben. Dieses Prinzip entspricht einer zentralen theologischen Einsicht: Der Einsicht, dass alle Menschen gleich sind, gleichrangig, gleich wertvoll. In den Schöpfungserzählungen ist das grundgelegt. Gott schafft den Menschen nach seinem Bild. Der Mensch trägt also göttliches Antlitz - und jeder ist ein Ebenbild Gottes. Da gibt es keine Über- und Unterordnung.
Leider belehrt uns die Kirchengeschichte, dass diese Einsicht oft nur theoretischer Natur war. Praktisch haben sich mächtige Kirchenfürsten mit Geld, Korruption oder sogar Mord ihre Ämter gesichert. Freie und faire Wahl? Fehlanzeige. Aber die grundsätzliche Idee ließ sich nicht ausrotten: Dass jeder Mensch eine Stimme besitzt, auch bei Wahlen. Und dass jede Stimme gleich viel wiegt.
Und ich hoffe, dass sich auch Präsidenten, Äbte und Päpste immer wieder daran erinnern: Dass sie von Menschen gewählt worden sind, die ihnen gleichrangig sind.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=14055
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