SWR2 Wort zum Tag

SWR2 Wort zum Tag

Der Herbst hat zwei Seiten. Da gibt es Tage, an denen die Sonne noch einmal alles vergoldet, was sie einen Sommer lang hat wachsen und blühen lassen. Äpfel und Birnen, Astern in allen Schattierungen zwischen karminrot und violett,  die herbstbunten Blätter und das zarte Lila der Herbstzeitlosen. Aber es gibt genauso Tage, wo zäher Nebel alles einhüllt und eine klamme, trostlose Kälte verbreitet. Und manchmal erleben wir auch beides an ein und demselben Tag, wenn der Nebel gegen Mittag durch die Sonne noch einmal aufgelöst wird...
Diese beiden Seiten des Herbstes sind auch ein Sinnbild für den menschlichen Herbst des Lebens. In dieser Lebensspanne dürfen Menschen das ernten, was sie in ihrem Leben ausgesät und zum Blühen gebracht haben. Sie dürfen sich an ihren Kindern und Enkeln erfreuen, für die sie nun nicht mehr - wie als Eltern - die tägliche Sorge zu tragen haben. Sie dürfen das genießen, was sie in ihrem Leben aufgebaut haben, gewachsene Beziehungen zu anderen Menschen, einen gewissen Lebensstandard, eine angemessene Altersversorgung und Zeit, die nun wieder zu ihrer freien Verfügung steht. Aber es gibt eben auch die andere Seite: den Verlust der eigenen Lebensenergie, gesundheitliche Einschränkungen, Krankheiten, Einsamkeit, Zeit, die man nicht mehr als sinnvoll und erfüllt erlebt, enge finanzielle Grenzen, weil die Rente sehr knapp ist und die Angst vor dem, was im Alter noch alles an Last und Schmerz zu ertragen sein wird. Der düstere Herbstnebel  wird da leicht zum Ausdruck der gesamten Lebensstimmung. „Die Menschen gleichen dem sprossenden Gras. Am Morgen grünt es und blüht, / am Abend wird es geschnitten und welkt" So heißt es im 90. Psalm im AT. Und auch im 21. Jahrhundert können wir dem bitteren Lebensgesetzt nicht entrinnen, dass am Ende unseres Lebens nicht eine endlose Fülle steht, sondern der Tod. Aber seit es Zeugnisse menschlicher Kultur gibt, gibt es auch Hoffnungszeichen, dass es ein Danach und ein Darüber hinaus gibt. Grabbeigaben und Bestattungsriten sind entstanden, weil die Menschen geahnt und gehofft und geglaubt haben, dass der schmerzliche Abschied vom irdischen Leben zugleich ein Weg und ein Durchgang zu einem neuen Leben ist. So wie auf jeden Herbst und Winter ein neuer Frühling folgt. Aber es kann schwer werden, dieser Hoffnung zu trauen, wenn man in sich selbst keine Lebenskraft mehr spürt. Da ist es wichtig, dass andere Menschen da sind, die aus dieser Hoffnung leben und einen nicht alleine lassen. So können auch düstere Tage  aufgehellt werden.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=14030
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