SWR2 Wort zum Sonntag

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„Die Würde der menschlichen Person kommt den Menschen unserer Zeit immer mehr zum Bewusstsein." Mit diesen Worten beginnt eines der zukunftweisenden Dokumente des II. Vatikanischen Konzils, das vor 50 Jahren eröffnet wurde. Es handelt sich um die Erklärung über die Religionsfreiheit, die in einigen Kreisen bis heute abgelehnt wird und von anderen als entscheidender „Paradigmenwechsel", ja als „kopernikanische Wende" in der Kirchengeschichte bezeichnet wird. Worum geht es?
„Das II. Vatikanische Konzil erklärt, dass die menschliche Person das Recht auf religiöse Freiheit hat. Diese Freiheit besteht darin, dass alle Menschen frei sein müssen von jedem Zwang ... wie jeglicher Gewalt, so dass in religiösen Dingen niemand gezwungen wird gegen sein Gewissen zu handeln, noch daran gehindert wird, privat und öffentlich, als einzelner oder in Verbindung mit anderen ... nach seinem Gewissen zu handeln." (DH 2) Dieses Recht, so das Konzil, gründe auf der Würde der menschlichen Person selbst und müsse in der Gesellschaft als fest verankertes bürgerliches Recht anerkannt werden. Es ist das Wesensmerkmal des echten religiösen Glaubens, dass er in Freiheit angenommen wird. Dieser Freiheit muss der Mensch auch nach außen in die Gesellschaft hinein Ausdruck verleihen können. Dazu gehört dem Konzil zu Folge insbesondere auch, dass die Eltern das Recht haben, „die Art der religiösen Erziehung gemäß ihrer eigenen religiösen Überzeugung zu bestimmen" und „in wahrer Freiheit Schulen und andere Erziehungseinrichtungen zu wählen." (DH 5) Eine verordnete Neutralität in öffentlichen Bereichen, insbesondere im Erziehungswesen, wäre ein direkter Eingriff in dieses Freiheitsrecht.
Das Konzil weiß auch um die Grenzen der Religionsfreiheit. Die personale und soziale Verantwortung darf nicht aus scheinbar religiösen Gründen ausgehebelt werden. So hat die bürgerliche Gesellschaft das Recht, „sich gegen Missbräuche zu schützen, die unter dem Vorwand der Religionsfreiheit vorkommen können." Die Freiheit hat ihre Grenze, wo das gerechte Zusammenleben aller Bürger miteinander, der öffentliche Frieden und die Wahrung der öffentlichen Sittlichkeit gefährdet sind. Das bedeutet aber zugleich eine klare Zurückhaltung des Staates im Hinblick auf das Selbstbestimmungsrecht der Religionen und religiösen Gemeinschaften. Die wiederum werden vom Konzil aufgefordert, aus eigenem Antrieb heraus Freiheit und Würde der Menschen fördern. Bei der Verbreitung des Glaubens und der Einführung von Gebräuchen müsse alles vermieden werden, was „den Anschein erweckt, als handle es sich um Zwang oder um unehrenhafte und ungehörige Überredung, besonders wenn es weniger Gebildete oder Arme betrifft." (DH 4)
Es tut gut, diese klare und ausgewogene Erklärung des Konzils heute fast 50 Jahre danach aufmerksam zu lesen, inmitten einer neuen Religionsdebatte in unserer Gesellschaft. Längst kommen die Gegner der Religionsfreiheit nicht mehr hauptsächlich aus der fundamentalistischen Ecke, die eine solche Freiheitsauffassung als Verrat an der Wahrheit ansehen. Dazu hat das Konzil eindeutig erklärt, dass das Menschenrecht der Religionsfreiheit die Wahrheit des Glaubens in keiner Weise relativiert. Es ist nicht gleichgültig, woran ich glaube. Und die katholische Kirche ist im Konzil auch nicht davon abgewichen, dass sie davon überzeugt ist, das Jesus Christus „der Weg, die Wahrheit und das Leben" ist und die Kirche unverfälscht von ihm durch die Jahrhunderte Zeugnis gibt. Aber es ist eben gerade dem christlichen Glauben zutiefst zu eigen, dass die „Freiheit der Kinder Gottes" niemals durch Zwang verwirklicht werden kann.
Heute wird die Religionsfreiheit auch durch einen offensiven und zuweilen aggressiven Laizismus in Frage gestellt. So manche Stellungnahme und Forderung etwa im Zusammenhang mit der jüngsten Debatte um das Ritual der Beschneidung müssen uns aufhorchen lassen. Manches klingt da nach den alten unversöhnten Konfrontationsstellungen des 19. Jahrhunderts. Das Konzil hat der Welt von heute einen Weg zur Versöhnung gewiesen. Er ist für uns in Deutschland und Europa so nötig, damit wir versöhnt mit unserer Geschichte aus unseren starken Wurzeln heraus, die immer auch religiös geprägt waren und sind, in eine gute, friedliche und humane Zukunft gehen können.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=14026
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