SWR3 Gedanken

SWR3 Gedanken

Kastanien glänzen so schön, wenn sie am Boden aus ihrer Schale purzeln. Ich kann selten widerstehen: Wenn eine vor mir auf dem Boden liegt, stecke ich sie mir in die Jackentasche als Handschmeichler.
Jetzt verlieren die Bäume mit ihren Früchten auch ihre Blätter.
Sie werfen ab, was sie so lange Zeit ernährt und getragen haben.
Frau Weber ist auch dabei, die Kastanien ihres Lebens loszulassen. Ich habe sie besucht, als sie dabei war, den Umzug ins Altenheim vorzubereiten.
Etliche Kartons stehen in Ihrem Wohnzimmer. Für jedes ihrer Kinder bzw. Enkelkinder ein Karton. Und noch einen für die Nachbarin. Und einen für die Geschichtsstudentin, die oben im Haus wohnt. 14 Kartons zähle ich.
„Man kann ja am Ende nichts mitnehmen", sagt Frau Weber und sie meint damit nicht den Umzug in ihr zukünftiges kleines Appartement. Aber in ihren Augen finde ich keine Schwermut und keine Traurigkeit.
„Wissen Sie", meint sie, „es ist gut, Dinge und Erinnerungsstücke abzugeben. Andere werden damit vielleicht etwas Neues und Anderes machen. Mir tut es gut, zu sehen, dass es auf mich nicht mehr ankommt. Dass andere jetzt Verantwortung übernehmen. Und ich freue mich, zu erleben, wie wenig ich wirklich brauche."
Was das denn sei, was sie wirklich braucht, frage ich. Frau Weber schaut aus dem Fenster und lächelt. Sie zeigt auf den Kastanienbaum gegenüber und sagt:
„Dasselbe wie dieser Baum da draußen. Licht, Luft, ein wenig Nahrung. Die Gewissheit loslassen zu dürfen und irgendwann selber aufgefangen zu werden."
Zuhause stelle ich mir vor, wie ich meinen Haushalt auflöse. Wem würde ich was weitergeben? So etwas wie Erleichterung stellt sich bei mir ein, als ich immerhin den Inhalt meines Bücherregals in Gedanken verteilt habe.
Am Ende kann man wirklich nichts mitnehmen, denke ich, und: ohne Gepäck zu reisen ist sowieso leichter.

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