Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

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Letzte Woche war ich im Paradies. Es liegt im Westerwald, an der Nister. Das Paradies ist so schön, ich wollte gar nicht mehr nach Hause. Da sind Kühe, die sehen richtig glücklich aus. Und grüne Wiesen, über denen allerlei Insekten summen. Und ein wunderschöner, samtblauer Himmel, über dem hoch oben die Vögel kreisen.
Und das Beste: der kleine Fluß.  - Die Nister.
Jemand hat ein Stück vom Paradies gemäht, so dass wir ganz ungehindert hindurch laufen können, direkt zum Fluss. Und dann: das Flussbett hochwaten - durch das klare, eiskalte Wasser. Ja, das geht, wo es nicht so tief ist. Ein bisschen rutschig ist es schon, aber das macht ja auch den besonderen Reiz. Ich meine, zu einfach darf es ja nicht sein, sich hier zu bewegen. Da braucht es Ruhe und Bedachtsamkeit. Sonst merkt man gar nicht, wo man ist.
Ein Eisvogel fliegt an uns vorbei. Er setzt sich am Flussufer nieder und zeigt sich kurz in seiner ganzen Pracht. Da wage ich kaum mehr zu atmen.
Als ich dorthin gefahren bin, war ich nicht in bester Stimmung. Eigentlich war mir eher nach Verkriechen zumute; nach runtergelassenen Rollläden. -Niemanden sehen, niemanden sprechen, niemanden hören...
Aber wir waren schon so lange verabredet. Und Freundschaften wollen gepflegt werden; da kann man nicht absagen, wie es einem grade passt. Ich mag das ja auch nicht.
Da habe ich mir einen Schubs gegeben, und mich aufgemacht. Und lande mitten im Paradies.
Und dort wird mir auf einmal klar: so ein winziges Stück vom Paradies findet man an vielen Stellen - natürlich nicht gleich mit Fluss und Eisvogel. Aber man kann sich ja auch ein bisschen begnügen.
Im klitzekleinen Paradies kann es auch schon mal regnen und einfach nur nach Erde riechen. Oder nach Waldboden. Oder frischem Laub. Ein kleines Stückchen Natur eben. Und das legt sich wie ein Trostpflaster auf die Seele.

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